Die vier edlen Wahrheiten

 Die vier edlen Wahrheiten

„Welche Asketen oder Brahmanen auch immer sich offenbart haben ... sich offenbaren werden ... sich offenbaren, dass sie der Wirklichkeit gemäß vollständig erwacht sind (yathābhūtaṁ abhisambuddhaṁ), alle offenbaren sich, dass sie zu diesen "Vier Edlen Wahrheiten", wie sie wirklich sind, vollständig erwacht sind.“ (SN 56.6)

Es ist von größter Bedeutung, dass wir die "vier edlen Wahrheiten" über dukkha genau so kennenlernen, wie der historische Buddha diese auch erkannt, gelehrt und erläutert hat. Nur so überwinden wir das Hemmnis der Unwissenheit (avijja) und üben uns in "Rechter Ansicht", dem ersten Glied des "edlen achtfachen Pfades". Im Dīgha Nikāya 16 heißt es hierzu: „Durch das Nichtverstehen, Nichtdurchdringen der "vier edlen Wahrheiten", ihr Mönche, habe ich und habt ihr diese lange Zeit den Daseinskreislauf (samsāra) durchlaufen, durcheilt.

Als der Buddha die "vier edlen Wahrheiten" den fünf ehemaligen Asketengefährten verkündete, erlangte einer von ihnen sogleich den Stromeintritt (sotāpanna). Hierzu heißt es in der Lehrrede: "Und während die Erklärung vorgetragen wurde, ging dem Ehrwürdigen Kondañño das fleckenlose, makellose Auge der Lehre auf (virajaṃ vītamalaṃ dhammacakkhuṃ udapādi)".

Saṃyutta Nikāya 56
2. Dhammacakkappavattanavagga
11. Das Rad der Lehre in Bewegung bringen (Dhammacakkappavattanasutta)

Das habe ich gehört: Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Benares am Sehersteine im Wildparke. Dort nun wandte sich der Erhabene an die fünf verbündeten Mönche:

„Zwei Extreme, ihr Mönche, sind von Hauslosen (Mönche u. Nonnen) nicht zu pflegen. Welche zwei?
Bei den Sinnendingen sich dem Anhaften am Sinnenwohl hingeben, dem niederen, gemeinen, gewöhnlichen, unedlen, heillosen;
und sich der Selbstqual (Praxis der Asketen) hingeben, der schmerzlichen, unedlen, heillosen.

Diese beiden Extreme vermeidend, ist der Vollendete zum mittleren Vorgehen erwacht,

das sehend und wissend (cakkhu ñāṇa) macht,
das zur Beruhigung (upasama),
zum Durchschauen (abhiññā),
zum Erwachen (sambodhā),
zum Nirvana (nibbānā) führt.

Und was ist dieses mittlere Vorgehen?

Es ist der edle achtfältige Pfad, nämlich rechte Ansicht (Verständnis der „Vier edlen Wahrheiten“), rechte Gesinnung (Denken), rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebensunterhalt, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung (Samadhi). Das ist, ihr Mönche, das mittlere Vorgehen, zu dem der Vollendete erwacht ist, das sehend und wissend macht, das zur Beruhigung, zum Überblick, zur Erwachung, zum Nirvāna führt."

„Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leiden (dukkha):

Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden,
Kummer, Jammer, Schmerz (körperlich), Trübsinn (psychisch) und Verzweiflung sind Leiden;
vereint sein mit Unliebem ist Leiden, getrennt sein von Liebem ist Leiden;
was man verlangt, nicht erlangen, ist Leiden.

Kurz gesagt: die fünf Gruppen des Ergreifens (pañca-upādāna-khandhā: Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen und Bewusstsein) sind Leiden“.

Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Ursprung des Leidens (dukkha-samudaya):

Es ist dieses Verlangen (Dust/tanha), dass zum erneuten Werden (punobbhava) führende, mit Ergötzen und Begehren (nandi-rāga) verbundene, hier und da sich ergötzen, nämlich

das sinnliche Verlangen (kāma-taṇhā: nach Sinnes- und Geistobjekte),
das Verlangen nach Werden (bhava-taṇhā: aufgrund von Lust am Werden),
das Verlangen nicht mehr zu Werden (vi-bhava-taṇhā: aufgrund von Frust am Werden).

Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Aufhören des Leidens (dukkha-nirodha):

Es ist eben dieses Verlangens restloses Schwinden und Aufhören (asesa-virāga-nirodha),
es aufgeben (cāgo),
es loslassen (paṭinissaggo),
sich von ihm lösen (mutti),
nicht mehr an ihm haften (anālayo).

Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von dem zum Aufhören des Leidens führenden Vorgehen:

Es ist einfach dieser edle achtfache Pfad: nämlich rechte Ansicht, rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Verhalten, rechter Lebenserwerb, rechtes Bemühen, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung."

Diese „vier edlen Wahrheiten“ über dukkha sind der Kern der Lehre des Buddha. Solange wir diese nicht der Wirklichkeit gemäß verstanden und durch weises Erwägen (yoniso manasikara), basierend auf Ethik (sila) und Sammlung (samadhi), nicht auch selbst erkannt haben, werden wir das Ziel der Schulung des Buddha, Nirvana, nicht erreichen.

Es ging dem Buddha nicht darum unsere Existenzbedingungen mit ein wenig Meditation und Achtsamkeit zu verbessern, oder das Leiden in der Welt zu lindern, sondern es ging ihm darum, einen Weg aufzuzeigen, um dem Leiden ein für alle mal zu entkommen. Nirvana bedeutet erlöschen und bezieht sich auf das Aufhören des Werdens im Daseinskreislauf.

Wir machen nur deshalb leidvolle Erfahrungen (dukkha), weil wir in Erscheinung treten!

Erste edle Wahrheit

„Was aber, ihr Jünger, ist die edle Wahrheit vom Leiden?

Geburt ist Leiden, Altern ist Leiden (Krankheit ist Leiden), Sterben ist Leiden,
Sorge, Jammer, Schmerz (physisch), Trübsal und Verzweiflung sind Leiden;
mit Unliebem vereint sein, ist Leiden; von Liebem getrennt sein, ist Leiden;
nicht erlangen, was man begehrt, ist Leiden;

kurz gesagt, die fünf Gruppen des Ergreifens (upadana-khandha) sind Leiden.“ (SN 56.11 )

In der ersten edlen Wahrheit bezeichnet der Buddha die fünf Gruppen des Ergreifens (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen und Bewusstsein), die ALLES sind, was uns als Lebewesen ausmacht, als Leiden. Dies ist darin begründet, dass leidvolle Empfindungen nur dann auftreten, wenn es einen Körper mit Sinnesorganen und Denkorgan nebst dem daraus resultierenden Bewusstsein gibt. Erst beim Kontakt der Sinne mit den Sinnesobjekten sowie dem Geist mit den Geistobjekten entstehen die Empfindungen.

Weil wir aufgrund der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit (anicca) aller Dinge und Lebewesen NICHTS auf Dauer zu unserer Zufriedenheit aufrechterhalten können, sind leidvolle Erfahrungen (dukkha) früher oder später unvermeidlich. 

Der Buddha unterschied zwischen drei Arten von Dukkha:

SN 45.165 - Dukkhatāsutta

Bhikkhus, es gibt diese drei Arten des Leidens. Welche drei?

1. Leid aufgrund von Leiden (dukkha-dukkhatā),
2. Leid aufgrund von Gestaltungen (saṅkhāra-dukkhatā),
3. Leid aufgrund von Veränderungen (vipariṇāma-dukkhatā).

Das sind die drei Arten des Leidens.

Der Edle Achtfache Pfad soll entwickelt werden, um diese drei Arten des Leidens direkt zu erkennen,
um sie vollständig zu verstehen, um sie völlig zu zerstören, um sie aufzugeben.

dukkha-dukkhata
Die offensichtlichste Form ist das „Leid am Leiden“ aufgrund von körperlicher, psychischer oder geistiger Beeinträchtigungen. Hierzu zählen alle Arten von Verletzungen, Behinderungen und Krankheiten. 

saṅkhāra-dukkhata
Das „Leid an den Gestaltungen“ ist das Bedrücktsein aller Lebewesen durch das immerwährende Entstehen, Vergehen und Anderswerden im Daseinskreislauf. Seit anfangsloser Zeit treten Körper und Geist nebst Bewusstsein nun schon gemäß der karmischen Dispositionen immer wieder erneut in Erscheinung.

AN 3.136
...
Alle Gestaltungen (das Zusammengesetzte und Bedingte) sind vergänglich (anicca),
alle Gestaltungen sind (daher früher oder später) dem Leiden (dukkha) unterworfen, ...

vipariṇāma-dukkha
Das „Leid an der Veränderung“. Leid aufgrund unserer Anstrengungen, dass was wir mögen zu erhalten bzw. das was wir nicht mögen zu ertragen oder loszuwerden. Leid deshalb, weil wir nichts zu unserer Zufriedenheit aufrecht erhalten können was bedingt entstanden ist. Es verändert sich fortwährend, entzieht sich unserer Kontrolle und wird einst wieder vergehen.

Es ist aber nicht bloß das Empfinden der Leidhaftigkeit (dukkha-vedana) gemeint, sondern auch das potentielle unbefriedigt sein, das 'Dem-Dukkha-Ausgesetztsein' oder das 'Dem-Dukkha-Unterworfensein.

Es ist schlicht die Tatsache, dass wir im Daseinskreislauf (samsara) in Erscheinung treten, die uns dukkha beim Kontakt der Sinne mit den Sinnesobjekten sowie dem Geist mit den Geistobjekten, als die dabei entstehenden Empfindungen, erfahren lässt.

In den niederen Daseinsbereichen erleben wir sehr viel dukkha;
im menschlichen Bereich eher eine Mischung aus dukkha und sukha (Glück, Freude);
in den himmlischen und göttlichen Bereichen überwiegend sukha.

Doch auch dort kommt es irgendwann zu dukkha, nämlich dann, wenn das positive Karma „aufgebraucht“ wurde, das zu einer Existenz in diesen Bereichen geführt hat. Ohne den von Buddha aufgezeigten Weg der Befreiung vom Daseinskreislauf, könnten wir dukkha nicht entkommen!

Zweite edle Wahrheit

„Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Ursprung des Leidens (dukkha-samudaya):

Es ist dieser Durst (tanha), der zum erneuten Werden (punobbhava) führende,
mit Ergötzen und Begehren (nandi-rāga) verbundene,
hier und da sich ergötzende, nämlich

der sinnliche Durst (kāma-taṇhā: Sinnes- und Geistobjekte),
der Werdensdurst (bhava-taṇhā: Lust am Werden),
der Nicht-Werdensdurst (vi-bhava-taṇhā: Frust am Werden).“

Die zentrale Komponente in den "vier edlen Wahrheiten" ist das Verlangen (Durst/tanha)

Dieses Verlangen wird immer wieder neu beim Kontakt der Sinne mit den Sinnesobjekten sowie dem Geist mit den Geistobjekten durch das Ergötzen (nandi) an den dabei auftetenden Empfindungen (freudvoll, leidvoll od. indifferent) entfacht.

Sind die Empfindungen angenehm, so wollen wir diese erhalten bzw. immer wieder neu erleben.
Sind die Empfindungen unangenehm, so wollen wir diese loswerden bzw. zukünftig vermeiden.

In den Lehrreden des Buddha wird das Verlangen (Durst/tanha) auf verschiedene Weise weiter differenziert:

Grundsätzlich:

Durst nach Sinnlichkeit - kāma-tanhā
Durst nach Werden (Lust am Dasein) - bhava-tanhā
Durst nach Nichtwerden (Frust am Dasein) - vibhava-tanhā

In Bezug auf das Begehren der Sinnesobjekte:

Formen - rūpa-tanhā
Töne - saddha-tanhā
Gerüche - gandha-tanhā
Geschmäcke - rasa-tanhā
Körperempfindungen - potthabba-tanhā
Geistesobjekte - dhamma-tanhā

In Bezug auf das Begehren nach Manifestation:

Begehren nach Manifestation in den Sinnenwelten - kama-tanhā
Begehren nach feinstofflich/formhaftem Manifestation - rūpa-tanhā
Begehren nach Manifestation ohne spezifische Form - arūpa-tanhā

DN 22
Wo aber entsteht dieses Verlangen, wo fasst es Wurzel?
Bei den lieblichen und angenehmen Objekten (piyarūpa sātarūpa) in der Welt, da entsteht dieses Verlangen, da fasst es Wurzel:

(gestraffte Fassung)

Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist;
Formen, Töne, Düfte, Geschmack, Berührung und Geistobjekte

sind etwas Liebliches und Angenehmes.

(Bedingt durch Sinne und Sinnesobjekte sowie Geist und Geistobjekte entsteht)
Augen-, Ohren-, Nasen-, Zungen-, Körper- und Geist-Bewusstsein;
(das Zusammentreffen der drei ist) Augen-, Ohren-, Nasen-, Zungen-, Körper- und Geist-Kontakt;
aus dem Kontakt entstehen Empfindungen (freudvoll, leidvoll od. indifferent);
Wahrnehmungen (Assoziation und Benennung);
(Gestaltungen:) Wollen (sañcetana), Verlangen (tanha), Nachdenken (vitakka) und Untersuchen (vicāra),

die durch Formen, Töne, Düfte, Geschmack, Berührungen und Geistobjekte bedingt sind, alle diese sind etwas Liebliches und Angenehmes. Da entsteht dieses Verlangen, da fasst es Wurzel." 

Ebenso mit den unliebsamen Objekten, die zu Abneigung führen:

MN 38
„Hat da einer mit dem Auge eine Form wahrgenommen, mit dem Ohre einen Ton, mit der Nase einen Duft, mit der Zunge einen Geschmack, mit dem Körper einen Berührung, mit dem Geiste ein Geistobjekt,

so faßt er bei einem lieblichen Objekt Zuneigung,
und bei einem unliebsamen Objekt fühlt er Abneigung.“

„Was immer er für ein Gefühl empfindet—angenehm, unangenehm oder indifferent — das billigt und pflegt er und klammert sich daran. Während er aber das Gefühl billigt, pflegt und sich daran klammert, steigt in ihm Ergötzen auf.

Das Ergötzen an den Gefühlen (positiv wie negativ), diese gilt als das "Ergreifen" (upādāna);
durch Ergreifen aber bedingt ist der Werdeprozeß (bhava),
durch den Werdeprozeß bedingt ist die (Wieder-)Geburt (jāti),
durch die Geburt aber bedingt entstehen Altern und Sterben,
Sorge, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung.
Also kommt es zur Entstehung dieser leidvollen Daseinsgruppen (Körper und Geist nebst Bewusstsein).“

Dritte edle Wahrheit

„Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Aufhören des Leidens (dukkha-nirodha):

Es ist eben dieses Durstes (tanha) restloses Aufhören, frei von Begierde (asesa-virāga-nirodha),
ihn aufgeben (cāgo),
ihn loslassen (paṭinissaggo),
sich von ihm lösen (mutti),
nicht mehr an ihm haften (anālayo).“

Der Daseinskreislauf hört auf, wenn der in der zweiten edlen Wahrheit beschriebene Durst (tanha) nach Werden (bhanva) zum Zwecke sinnlichen Erlebens (kama) aufhört.

In den Fragen des Königs Milinda an den Mönch Nāgasena wird der Prozess des Aufhörens wie folgt beschrieben:

Die Fragen des Königs Milinda
Teil 3: Lösungen der Zweifel - Kapitel 4
3.4.8. Nibbāna ist Aufhören (Nirodhanibbānapañha)

Der König sprach: „Ist wohl, o Herr, Nirvana (nibbāna) Aufhören (nirodha)?“

„Ja, o König. Nirvana ist Aufhören.“

„Inwiefern nun aber, ehrwürdiger Nāgasena, ist Nirvana Aufhören?“

„All die törichten Weltlinge, o König, finden Lust und Freude an den Sinnen und deren Objekten (āyatana) und klammern sich daran (ajjhosāya). Daher werden sie von jenem Strome der Leidenschaften fortgerissen und nicht befreit von Geburt, Altern und Sterben, von Sorge, Klage, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung, werden nicht befreit vom Leiden: das sage ich.

Der kundige, edle Jünger (ariyasāvako) aber, o König, findet KEINE Lust und Freude an den Sinnen und deren Objekten (sich an den Sinnesobjekten und Geistobjekten ergötzen) und hängt sich nicht daran (er haftet nicht mehr). Da er aber keine Lust und Freude daran findet und sich nicht daran hängt, so hört das Verlangen auf (taṇhā nirujjhati).

Durch Aufhören des Verlangens (taṇhā-nirodhā) hört das Ergreifen auf (upādāna-nirodho),
durch Aufhören des Ergreifens (upādāna-nirodhā) hört das Werden auf (bhava-nirodho).
Durch Aufhören des Werdens (bhavanirodhā) hört die Geburt auf (jāti-nirodho).
Und mit Aufhören der Geburt schwinden Alter und Tod,
Sorge, Klage, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung.

Auf diese Weise kommt es zum Aufhören dieser leidvollen Daseinsgruppen (dukkhakkhandhassa nirodho: Körper und Geist nebst Bewusstsein).

Insofern, o König, ist Nirvana Aufhören (nirodho nibbānan).“

„Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!“

Es geht aber nicht nur,  wie in der zweiten edlen Wahrheit aufgeführt, um die Sinnes- und Geistobjekte sondern um alle möglichen Arten des Werdens auf allen Ebenen bedingten Daseins, wo wir aufgrund unserer karmischen Dispositionen in Erscheinung treten können:

itivuttaka 73
Friedvoller (Santatarasutta)

Form, Nichtform und Aufhören (nirodha)

Gesagt wurde dies vom Erhabenen, gesagt von dem Heiligen, so habe ich gehört:

„Frievoller, ihr Jünger, als die Formen (rupa: feinstofflich/formhafte Daseinsgrundlagen) sind die Nichtformen (arupa: Daseinsgrundlagen ohne spezifische Form); friedvoller als die Nichtformen ist deren Aufhören (nirodha: das Ende des Werdens: Nirvana).“

Dies sprach der Erhabene; daher heißt es mit Bezug hierauf folgendermaßen:

„Sowohl die Wesen, welche zu den Formen gelangen, als auch die, welche in den Nichtformen sich befinden, ohne das Aufhören (ihrer Daseinsgrundlagen) zu erkennen, werden zu neuem Werden (punabbhava/Wiedergeburt) kommen.

Die da in völliger Erkenntnis der Formen bei den Nichtformen nicht stehen bleiben, die im Aufhören (nirodha) ihre Befreiung finden, diese Wesen lassen den Tod hinter sich. Nachdem der von den Trieben (asavas: Unwissenheitstrieb, Werdenstrieb u. Sinnentrieb) Freigewordene aus sich selbst das den Daseinsgrundlagen (upadhi) entrückte todlose Element (amatadhātu) erreicht und das Abwerfen der Daseinsgrundlagen verwirklicht hat, verkündet der völlig Erwachte (sammāsambuddho) die kummerfreie, makellose Stätte (Nirvana).“

Auch dies ist vom Erhabenen gesagt worden, so habe ich gehört.

Das Aufhören des Werdens ist das Parinirvana des Arahant 

Weil es kein beständiges und ewiges Selbst gibt, sondern nur bedingtes Entstehen, Vergehen und Anderswerden von Daseinsgrundlagen (Körper und Geist) nebst Bewusstsein, kann Befreiung durch das Aufhören der Bedingungen des Werdens (avijja und tanha) erlangt werden:

„Nur dukkha ist es, was entsteht (Körper und Geist nebst Bewusstsein)
und dukkha, was vergeht (Parinirvana des Arahant)“

Was dann eintritt ist das Unbedingte und Ungewordene. Kein Entstehen, Vergehen und Anderswerden zeigt sich mehr.

itivuttaka 43
Das Ungeborene (Ajātasutta)

Gesagt wurde dies vom Erhabenen, gesagt von dem Heiligen, so habe ich gehört:

„Es gibt, ihr Jünger,

ein Ungeborenes (ajāta),
Ungewordenes (abhūta),
Ungemachte (akata),
Ungestaltetes (asaṅkhata).

Wenn es, ihr Jünger, dieses Ungeborene, Ungewordene, Ungemachte, Ungestaltete nicht gäbe, so wäre hier ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Gemachten, Gestalteten (jātassa bhūtassa katassa saṅkhatassa) nicht zu erkennen.

Weil es nun aber, ihr Jünger, ein Ungeborenes, Ungewordenes, Ungemachtes, Ungestaltetes gibt, deshalb ist ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Gemachten, Gestalteten zu erkennen.“

Dies sprach der Erhabene; daher heißt es mit Bezug hierauf folgendermaßen:

„Das Geborene (jāta),
Gewordene (bhūta),
Entstandene (samuppanna),
Gemachte (kata),
unbeständig Gestaltete (saṅkhata-addhuva),

aus Alter und Tod Gebildete (jarā-maraṇa-saṅghāṭa),
das Nest des Siechtums,
das Gebrechliche,
aus dem Strom der Nahrung Entsprungene,

es reicht nicht hin, um daran Wohlgefallen zu finden.

Der Ausweg aus ihm ist der Friede (santa),
das dem Denken Unzugängliche (atakkāvacara),
Beständige (dhuva: konstant, unveränderlich),
das Ungeborene, Unentstandene (ajāta asamuppanna),
der sorglose Zustand, frei von Makel (asoka viraja pada),
das Aufhören der leidvollen Dinge (nirodho dukkha-dhammā),
das selige Zurruhekommen der Gestaltungen (saṅkhārūpasamo sukho).“

Vierte edle Wahrheit

„Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von dem zum Aufhören des Leidens führenden Vorgehen:

Es ist eben dieser „Edle achtfältige Pfad“, nämlich

1. Rechte Ansicht - samma diṭṭhi 
2. Rechte Gesinnung (Denken) - samma saṅkappa
3. Rechte Rede - samma vācā
4. Rechtes Handeln - samma kammanta
5. Rechte Lebensführung - samma ājīva
6. Rechte Anstrengung - samma vāyama
7. Rechte Achtsamkeit - samma sati
8. Rechte Sammlung - samma samadhi“ (SN 56.11 )

DN 22
Und was, Mönche, ist rechte Ansicht?

Es ist dies, Mönche:

die Erkenntnis (ñāṇa) des Leidens,
die Erkenntnis der Entstehung des Leidens,
die Erkenntnis der Aufhebung des Leidens,
die Erkenntnis des Weges, der zur Aufhebung des Leidens führt.

Das, Mönche, nennt man rechte Ansicht.

Und was, Mönche, ist rechte Gesinnung (Denken)?

Entsagende Gesinnung (Sinnes- u. Geistobjekte),
Gesinnung, die frei von Abneigung (wohlwollend) ist,
Gesinnung, die frei von Gewalt (friedfertig) ist.

Solche Gedanken, Mönche, bezeichnet man als rechte Gesinnung.

Und was, Mönche, ist rechte Rede?

Sich des Lügens zu enthalten,
sich der Verleumdung und der üblen Nachrede zu enthalten,
sich harter Worte zu enthalten und
sich törichten Geschwätzes zu enthalten.

Das, Mönche, bezeichnet man als rechte Rede.

Und was, Mönche, ist rechtes Handeln?

Sich des Tötens zu enthalten,
nicht zu nehmen, was einem nicht gegeben wurde,
und sich sexueller Verfehlungen zu enthalten.

Das, Mönche, bezeichnet man als rechtes Handeln.

Und was, Mönche, ist rechter Lebensunterhalt?

Hier, Mönche, erwirbt ein edler Schüler unter Aufgabe der falschen Arten des Lebensunterhalts seinen Lebensunterhalt auf rechte Weise (steht nicht im Konflikt mit zwei vorherigen Stufen des Pfades: Rechte Rede u. Rechtes Handeln).

Das, Mönche, bezeichnet man als rechten Lebensunterhalt.

Und was, Mönche, ist rechte Bemühung?

Hier, Mönche, entwickelt ein Mönch den festen Willen, bisher noch nicht entstandene negative, unheilsame Geisteszustände nicht entstehen zu lassen; er bemüht sich mit ganzer Kraft, weckt seine Energien, richtet seinen Geist mit festem Vorsatz darauf und strebt so auf dieses Ziel hin. Um jene negativen, unheilsamen Geisteszustände, die bereits in ihm entstanden sind, auszulöschen, entwickelt er festen Willen, bemüht sich mit ganzer Kraft, weckt seine Energien, richtet seinen Geist mit festem Vorsatz darauf und strebt so auf dieses Ziel hin.

Um heilsame Geisteszustände, die bisher noch nicht in ihm entstanden sind, zu entwickeln, entwickelt er festen Willen, bemüht sich mit ganzer Kraft, weckt seine Energien, richtet seinen Geist mit festem Vorsatz darauf und strebt so auf dieses Ziel hin. Um heilsame Geisteszustände, die bereits in ihm entstanden sind, aufrecht zu erhalten, sie nicht verloren gehen zu lassen, sie zu vermehren und sie zu voller Reife und voller Entwicklung zu bringen, entwickelt er festen Willen, bemüht sich mit ganzer Kraft, weckt seine Energien, richtet seinen Geist mit festem Vorsatz darauf und strebt so auf dieses Ziel hin.

Das, Mönche, bezeichnet man als rechte Bemühung.

Und was, Mönche, ist rechte Achtsamkeit?

(Vier Grundlagen der Achtsamkeit)

Da weilt der Mönch, ihr Mönche, beim Körper, den Körper betrachtend, eifrig, klarbewusst, achtsam, nach der Entfernung von Begierde und Abneigung hinsichtlich der Welt.

Da weilt der Mönch bei den Empfindungen, die Empfindungen (angenehm, unangenehm od. indifferent) betrachtend, eifrig, klarbewusst, achtsam, nach der Entfernung von Begierde und Abneigung hinsichtlich der Welt.

Da weilt der Mönch beim Gemüt (Herz/citta), das Gemüt (Verlangen, Abneigung u. Verblendung usw.) betrachtend, eifrig, klarbewusst, achtsam, nach der Entfernung von Begierde und Abneigung hinsichtlich der Welt.

Da weilt der Mönch bei den Dingen (dhamma), die Dinge (Geistobjekte: hier Buddha-Dhamma) betrachtend, eifrig, klarbewusst, achtsam, nach der Entfernung von Begierde und Abneigung hinsichtlich der Welt.

Das heißt, ihr Mönche, rechte Achtsamkeit.

Und was, Mönche, ist rechte Sammlung (samadhi)?

Hier, Mönche, tritt ein Mönch, losgelöst vom Begehren, losgelöst von unheilsamen Geisteszuständen, in die erste Vertiefung (jhana) ein, die aus Loslösung hervorgegangen ist, die mit Denken und Erwägen einhergeht und erfüllt ist von Verzückung und Seligkeit, und er verweilt darin.

Mit dem Nachlassen von Denken und Erwägen und dem Erreichen innerer Ruhe und Sammlung des Geistes tritt er in die zweite Vertiefung ein, die, aus Sammlung hervorgegangen, frei von Denken und Erwägen und erfüllt ist von Verzückung und Seligkeit, und er verweilt darin.

Nach dem Ausklingen der Verzückung verweilt er in Gleichmut, aufmerksam mit kontinuierlichem tiefgründigen Verständnis der Unbeständigkeit, und er erfährt in seinem Körper die Seligkeit, von welcher die Edlen sagen: “Diese Seligkeit wird von dem erfahren, der im Besitz von Gleichmut und Aufmerksamkeit ist.“ Damit tritt er in die dritte Versenkung ein und verweilt darin.

Nach der Auflösung von (körperlichem) Wohlgefühl und Wehgefühl, wobei (geistige) Freude und Trübsal schon vorher verlöscht sind, tritt er in ein Stadium jenseits von Wehgefühl und Wohlgefühl ein, die vierte Versenkung, die durch Gleichmut und Achtsamkeit vollkommen gereinigt ist, und er verweilt darin.

Das, Mönche, bezeichnet man als rechte Sammlung.“

Vier edle Wahrheiten - vier Aufgaben 

Im zweiten Teil der ersten Lehrrede des Buddha über die vier edlen Wahrheiten, beschreibt er vier Aufgaben, welche sich daraus ergeben, um Befreiung vom Werden im Daseinskreislauf zu erlangen.

Er spricht hier von der dreifache Wissensklarheit in zwölf Begriffen:

(1) Vier Edle Wahrheiten über Dukkha

1. Dies ist das Leiden;
2. Dies ist der Ursprung des Leidens;
3. Dies ist das Aufhören des Leidens;
4. Dies ist der zum Aufhören des Leidens führende Weg.

(2) Aus den „Vier edlen Wahrheiten“ ergeben sich vier Aufgaben:

(der Schüler)

5. Das Leiden (dukkha) muss völlig „durchschaut“ werden;
6. Sein Ursprung muss „überwunden“ werden (avijja/Unwissenheit u. tanha/Verlangen);
7. Sein Aufhören muss „entfaltet“ werden (durch samatha/Ruhe u. vipassana/Einsicht);
8. Der Weg, der zu seiner Aufhebung führt, muss „verwirklicht“ werden (sila, samadhi u. panna).

(3) Die vier Aufgaben führen zur Befreiung durch Weisheit (panna-vimutti):

(der Arahant)

9. Das Leiden ist vollkommen durchschaut;
10. Sein Ursprung (avijja u. tanha) ist überwunden ;
11. Sein Aufhören ist entfaltet (frei von Gier, Hass und Verblendung);
12. Der Weg, der zu seiner Aufhebung führt, ist verwirklicht worden.

SN 56.11 Das Rad des Dhamma ins Rollen bringen (Teil 2)

‚Dies ist die edle Wahrheit vom Leiden.‘ dabei ging mir, ihr Mönche, bei nie zuvor gehörten Dingen

das Auge auf (cakkhuṁ udapādi),
die Erkenntnis auf (ñāṇaṁ udapādi),
die Weisheit auf (paññā udapādi),
das Wissen auf (vijjā udapādi),
die Schauung auf (āloko udapādi).
...
Und solange ich, ihr Mönche, bei diesen vier edlen Wahrheiten nicht der Wirklichkeit gemäß

die dreifache Wissensklarheit in 12 Begriffen

wohl geläutert gewonnen hatte, war ich mir auch nicht klar darüber, ihr Mönche, ob ich in der Welt mit ihren Göttern, ihren Māros und Brahmas, mit ihrer Schar von Asketen und Brahmanen, mit ihren Göttern und Menschen in der unvergleichlichen vollkommenen Erwachung auferwacht war.

Sobald ich aber, ihr Mönche, bei diesen vier edlen Wahrheiten der Wirklichkeit gemäß die dreifache Wissensklarheit in 12 Begriffen (siehe oben) wohl geläutert gewonnen hatte, da war ich mir auch klar darüber, daß ich in der Welt mit ihren Māros und Brahmas, mit ihrer Schar von Asketen und Brahmanen, mit ihren Göttern und Menschen in der unvergleichlichen vollkommenen Erwachung auferwacht war.

Und mir ging die Wissensklarheit auf:
(Ñāṇañca pana me dassanaṁ udapādi:)

„Unerschütterlich ist meine Befreiung (‘akuppā me vimutti).
Dies ist meine letzte Geburt (ayamantimā jāti).
Jetzt gibt es kein erneutes Werden mehr (natthi dāni punabbhavo)!“

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich die fünf verbündeten Mönche über die Worte des Erhabenen.

Und während die Erklärung vorgetragen wurde, ging dem Ehrwürdigen Kondañño (einer der fünf Asketen) das fleckenlose, makellose Auge der Lehre auf (virajaṃ vītamalaṃ dhammacakkhuṃ udapādi):

Was immer dem Gesetz des Entstehen unterliegt, all dies unterliegt auch dem Gesetz des Aufhörens."
(yaṃ kiñci samudaya-dhammaṃ sabbaṃ taṃ nirodha-dhamman).

(Dies ist die Erkenntnis des bedingten Entstehens und Aufhörens: Was aufgrund von Bedingungen (avijja u. tanha) in Erscheinung tritt, kann durch das Aufhören dieser Bedingungen auch aufhören in Erscheinung zu treten)
 Da äußerte der Erhabene folgenden feierlichen Ausspruch:

„Verstanden hat wahrlich Kondañño, verstanden hat wirklich Kondañño.“ Daher erhielt Kondañño den Namen ‚Der Versteher Kondañño‘.“

Kommen wir nun zur Erläuterung der Vier Aufgaben:

Aṅguttara Nikāya
Das Vierer-Buch
254. Das Wissen (Abhiññāsutta)

„Vier Dinge (dhamma) gibt es, ihr Mönche. Welche vier?

(1) Es gibt, ihr Mönche, Dinge, die weise zu durchschauen sind;
(2) es gibt, ihr Mönche, Dinge, die weise zu überwinden sind;
(3) es gibt, ihr Mönche, Dinge, die weise zu entfalten sind;
(4) es gibt, ihr Mönche, Dinge, die weise zu verwirklichen sind.“

„Welche Dinge aber, ihr Mönche, sind weise zu durchschauen?

Die fünf Gruppen des Ergreifens (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen u. Bewusstsein). Diese Dinge, heißt es, sind weise zu durchschauen.“

[Diese fünf Gruppen sind ALLES, was uns als Lebewesen ausmacht. Sie treten nur aufgrund von Bedingungen in Erscheinung, sind dabei unbeständig und vergänglich (anicca), daher früher oder später leidvoll (dukkha) u. kein beständiges und ewiges Selbst (anatta),  und gehören auch nicht zu einem vermeintlich transzendenten Selbst (Seele)]

„Welche Dinge aber, ihr Mönche, sind weise zu überwinden?

Nicht-Wissen (avijja) und Verlangen nach Werden (bhava-tanha). Diese Dinge, heißt es, sind weise zu überwinden.“

„Welche Dinge aber, ihr Mönche, sind weise zu entfalten?

Geistesruhe (samatha) und Einsicht (vipassana). Diese Dinge, heißt es, sind weise zu entfalten.“

„Welche Dinge aber, ihr Mönche, sind weise zu verwirklichen?

Wissen (vijja) und Befreiung (vimutti). Diese Dinge, heißt es, sind weise zu verwirklichen.

Diese vier Dinge gibt es, ihr Mönche.“

Erst wenn wir erkennen, wie es wirklich ist, sind wir desillusioniert (nibbida).
Desillusioniert schwindet die Begierde (virāga).
Begierdelos sind befreit vom Werden (vimutti).

Es ist die Erkenntnis des Arahant, dass NICHTS im Daseinskreislauf, aufgrund der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit aller Dinge und Lebewesen, der Mühe wert ist, dafür erneut in Erscheinung zu treten: Nur Nirvana ist Frieden!

Was im Tod des Arahant (Parinirvana) eintritt, ist nicht die Vernichtung eines vermeintlichen Selbst, sondern das Unbedingte und Ungewordene. Kein Entstehen, Vergehen und Anderswerden zeigt sich mehr.

Es ist die vollständige Loslösung von allen Daseinsgrundlagen.

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