Das befreite Herz (ceto-vimutti)
In den Lehrreden des Buddha findet sich häufig der Begriff „citta“. Er lässt sich am besten mit Gemüt oder Herz übersetzen. Als Gemütszustand wird die mentale und emotionale Befindlichkeit eines Menschen bezeichnet. Diese ist motiviert von Verlangen, Abneigung und Verblendung.
Bedingt durch einen Körper mit Sinnesorganen und Denkorgan kommt es zum Kontakt der Sinne mit den Sinnesobjekten sowie dem Geist mit den Geistobjekten. Bedingt durch diesen Kontakt entstehen Empfindungen (angenehm, unangenehm od. indifferent), Wahrnehmungen (Assoziation und Benennung) sowie Gestaltungen (Willensregungen), welche zu Aktivitäten in Gedanken Worten und Werken führen. Bedingt durch kognitiven Prozesse der Sinnen- und Denktätigkeit entsteht das Sinnen- bzw. Geist-Bewußtsein (mano-vinnana).
Was uns aufgrund dieser Kontakte angenehm ist, wollen wir erhalten bzw. immer wieder erneut erleben (Verlangen). Was uns unangenehm ist, wollen wir loswerden bzw. zukünftig vermeiden (Abneigung). Wenn wir nicht erkennen, wie es wirklich ist, so handeln wir aus Verblendung.
Dies sind die drei grundlegenden Gemütszustände, welche unseren Gestaltungen in Gedanken, Worten und Werken zugrunde liegen:
„Vom Gemüt, oh Mönch, wird die Welt gelenkt, vom Gemüt wird sie hin und her gezerrt, wenn das Gemüt aufsteigt, übernimmt es die Kontrolle (Cittena kho, bhikkhu, loko nīyati, cittena parikassati, cittassa uppannassa vasaṁ gacchatī)."
Weil dies so ist, musste der Buddha sein Gemüt schulen (citta bhavana), um es für sein Erwachen (bodhi) vorzubereiten. Den Gemütszustand vor seinem Erwachen beschreibt er wie folgt: "Als das Gemüt (citta) so konzentriert, gereinigt, strahlend, makellos, frei von Trübungen, fügsam, formbar, standhaft und zur Gelassenheit gelangt war …" (MN 36).
Alles, was uns als Lebewesen ausmacht, sind Name und Form (nāma-rūpa) nebst dem daraus resultierenden Bewusstsein (vinnana). Mit 'Form' (rūpa) ist der physische bzw. feinstoffliche Körper eines Lebewesens gemeint. Unter dem Begriff 'Name' (nāma) versteht man die immateriellen Fähigkeiten eines Lebewesens.
'Name' umfasst sämtliche nicht-materiellen Fähigkeiten, also somit unsere Empfindungen, Wahrnehmungen, Denkvermögen, Emotionen, Empathie, Wissen, Intuition oder Motivation. Das Bewusstsein ist damit jedoch NICHT umfasst, weil es erst aufgrund der kognitiven Prozesse von 'Name und Form' in Erscheinung tritt.
Alle zusammen bezeichnet der Buddha auch als die fünf Gruppen des Ergreifens (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen und Bewusstsein).
Der Buddha beschreibt Name und Form wie folgt:
SN 12.2. Zergliederung (Vibhaṅgasutta)
...
"Und was, Bhikkhus, ist Name und Form (nāma-rūpa)?
Empfinden, Wahrnehmen, Wollen, Berührung, Erwägen: das wird Name (nāma) genannt (vedanā, saññā, cetanā, phasso, manasikāro—idaṃ vuccati nāmaṃ).
Die vier großen Elemente (Festes, Flüssiges, Gasförmiges und Wärme) und die von den vier großen Elementen (durch Assimilation von Nahrung) entstandene Form: dies wird Form (rūpa) genannt.
So werden dieser Name und diese Form, zusammen Name und Form (nāma-rūpa) genannt."
Bedingt durch die kognitiven Prozesse von Name und Form (nama-rupa) ist das, was man als Gemüt, als Geist und als Bewußtsein (citta, mano und viññāṇa) bezeichnet. Diese treten nur bedingt in Erscheinung und können somit auch aufhören, wenn die Bedingungen dafür aufhören. Somit sind auch diese kein beständiges und ewiges Selbst!
SN 12.61 Ungebildet
So habe ich es gehört: Einmal hielt sich der Buddha bei Sāvatthī in Jetas Wäldchen auf, dem Kloster des Anāthapiṇḍika. …
„Mönche und Nonnen, ein ungebildeter gewöhnlicher Mensch kann in Bezug auf diesen Körper, der aus den vier Elementen besteht (Festes, Flüssiges, Gasförmiges und Wärme), desillusioniert werden, die Begierde (danach) verlieren und (davon) befreit werden. Und warum? Bei diesem Körper, der aus den vier Elementen besteht, sieht man, wie er heranwächst und verfällt, wie er aufgenommen und zur Ruhe gelegt wird. Aus diesem Grund kann ein ungebildeter gewöhnlicher Mensch hier ernüchtert werden, die Begierde (danach) verlieren und (davon) befreit werden.
Aber in Bezug auf das, was man Gemüt/Herz, Geist oder Bewusstsein (citta, mano und viññāṇa) nennt, ist ein ungebildeter gewöhnlicher Mensch nicht in der Lage, desillusioniert zu werden, die Begierde (danach) zu verlieren und (davon) befreit zu sein. Und warum nicht? Weil er lange Zeit daran festgehalten hat, es als sein Eigenes betrachtet hat und fälschlich darüber gedacht hat:
‚Das ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst.‘
Aus diesem Grund kann ein ungebildeter gewöhnlicher Mensch hier nicht desillusioniert werden, die Begierde (danach) verlieren und (davon) befreit sein.
Aber ein ungebildeter gewöhnlicher Mensch täte besser daran, diesen Körper, der aus den vier Elementen besteht, als sein Selbst anzusehen, als den Geist. Und warum? Man sieht, dass dieser Körper, der aus den vier Elementen besteht, ein Jahr besteht, dass er zwei Jahre, drei, vier, fünf oder zehn Jahre, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, hundert Jahre oder sogar länger besteht.
Aber das, ihr Bhikkhus, was man Gemüt/Herz, Geist oder Bewusstsein nennt, da entsteht bei Nacht und bei Tag eines und ein anderes wird aufgehoben.
(Es handelt sich hierbei um ein 'Kontinuum' des Entstehens, Vergehens und Anderswerdens. Da ist NICHTS Beständiges und Ewiges zu finden, was man als Wesenskern bezeichnen könnte.)
Gerade so, ihr Bhikkhus, wie ein Affe, der in der Wildnis, im Walde sich ergeht, einen Zweig ergreift, und wenn er ihn losgelassen, ergreift er einen anderen (Zweig). Ebenso (ist es mit dem) was da, ihr Bhikkhus, Gemüt, Geist und Bewußtsein heißt: Da entsteht bei Nacht und bei Tag eines und ein anderes wird aufgehoben.
Ein gebildeter, edler Schüler wendet sich dem abhängigen Entstehen sorgfältig und gründlich zu: ‚Wenn dieses besteht, ist jenes; aufgrund des Entstehens von diesem entsteht jenes. Wenn dieses nicht besteht, ist jenes nicht; aufgrund des Aufhörens von diesem hört jenes auf.
Das heißt: Bedingt durch Unwissenheit sind Gestaltungen (Willensregungen). Bedingt durch Gestaltungen ist das Bewusstsein. Bedingt durch Bewusstsein sind Name und Form) … So kommen die leidvollen Gruppen (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen und Bewusstsein) zustande. Wenn Unwissenheit schwindet und restlos aufhört, hören Gestaltungen auf. Wenn Gestaltungen aufhören, hört Bewusstsein auf. Wenn Bewusstsein aufhört, hören Name und Form auf … So hören diese leidvollen Gruppen (dukkhakkhandhassa nirodha) auf.‘
(Als Unwissenheit bezeichnet der Buddha die Unkenntnis bzw. das falsche Verständnis in Bezug auf die vier edlen Wahrheiten. Solange wir noch unwissend sind, entstehen Willensregungen in Bezug darauf, etwas erleben, haben oder sein zu wollen. Diese Willensregungen sind wiederum der Grund dafür, dass im Tod einer Daseinsgrundlage (nama-rupa) das Bewußtsein mittels einer neuen Daseinsgrundlage weiter aufrechterhalten wird. Dies ist es, was die vorherigen Sätze des bedingten Entstehens aussagen.
Haben wir die vier edlen Wahrheiten jedoch erst einmal der Wirklichkeit gemäß erkennt und verinnerlicht, also das NICHTS im Daseinskreislauf, aufgrund der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit aller Dinge und Lebewesen, der Mühe wert ist, dafür erneut in Erscheinung zu treten, sind wir befreit von erneutem Werden.)
Wenn er das sieht, wird ein gebildeter, edler Schüler desillusioniert (nibbida) von Form, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen und Bewusstsein. Wenn er desillusioniert ist, schwindet die Begierde (viraga). Wenn die Begierde schwindet, ist er befreit (vimutti).
Wenn er befreit ist, weiß er, dass er befreit ist.
Er versteht: ‚Geburt ist beendet; das geistliche Leben ist erfüllt; was zu tun war, ist getan; es gibt keine Rückkehr mehr zu irgendeinem Daseinszustand.‘“
Das Gemüt/Herz (Geist od. Bewusstsein) tritt also nur bedingt in Erscheinung. Es ist dabei unbeständig und vergänglich (anicca) und somit kein beständiges und ewiges Selbst (an-atta). Wenn Name und Form (nāma-rūpa) aufhören in Erscheinung zu treten, hört auch das Gemüt auf.
SN 47.42 Entstehen (Samudayasutta)
…
„Mit dem Entstehen von Name und Form (nāma-rūpa-samudayā) ist das Entstehen des Gemüts (cittassa samudayo) .
Mit dem Aufhören von Name und Form (nāma-rūpa-nirodhā) ist das Vergehen des Gemüts (cittassa atthaṅgamo).“
Unser Gemüt ist es, welches durch Gier, Hass und Verblendung befleckt (kilesa) wird. Und es ist unser Gemüt, welches geschult (citta-bhavana) und befreit (ceto-vimutti) wird.
AN 1.49–50
...
"Hell leuchtend (pabhassara), ihr Mönche, ist dieses Herz/Gemüt (citta); doch es wird getrübt von hinzukommenden Befleckungen (āgantukehi upakkilesehi). Doch der unkundige Weltling versteht dies nicht der Wirklichkeit gemäß. Darum, sage ich, gibt es für den unkundigen Weltling keine Entfaltung des Herzens/Gemüt (citta-bhāvanā)
Hell leuchtend, ihr Mönche, ist dieses Herz/Gemüt; und es ist frei von hinzukommende Befleckungen. Der kundige, edle Jünger (ariya-sāvaka) aber versteht dies der Wirklichkeit gemäß. Darum, sage ich, gibt es für den kundigen, edlen Jünger eine Entfaltung des Herzens“.
Da ist NIEMAND, der befreit werden könnte, sondern es ist unser Gemüt, das befreit wird von Gier, Hass und Verblendung. Nur ein befreites Gemüt ergreift keine neue Existenz mehr!
Das Ziel des „Edlen achtfachen Pfades“ ist die
Befreiung des Herzens (ceto-vimutti: von Gier und Hass), zusammen
mit der Befreiung durch Weisheit (panna-vimutti: von Verblendung).
Nur wenn unser Gemüt auch frei von Verblendung (geistiger Blindheit) ist, sehen wir die Dinge wie sie wirklich sind (anicca, dukkha u. anatta) und werden dadurch desillusioniert (nibbida). Desillusioniert schwindet die Begierde (virāga) und wir erlangen Befreiung vom Werden im Daseinskreislauf (samsara).
Darum setzt auch hier die Schulung des Buddha an (citta-bhavana) an.
Aṅguttara Nikāya
Das Einer-Buch
31–40. Zügelung des Herzens
„Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, dass, ungezähmt, unbehütet, unbewacht und ungezügelt, zu so großem Unsegen führt wie das Gemüt (citta). Zu großem Unsegen, ihr Mönche, führt das ungezähmte, unbehütete, unbewachte und ungezügeltes Gemüt.
Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, dass, bezähmt, behütet, bewacht und gezügelt, zu so großem Segen führt wie das Gemüt. Zu großem Segen, ihr Mönche, führt das bezähmte, behütete, bewachte und gezügelte Gemüt.“
Das Herz/Gemüt eines Arahant ist „unerschütterlich“, wenn keine Gier, kein Hass und Verblendung mehr in ihm zu finden sind. Wenn also gemäß der dritten edlen Wahrheit das Verlangen (Durst/tanha) nach sinnlichem Erleben (kama) und erneutem Werden (punobhava) geschwunden ist.
Aṅguttara Nikāya 9
3. Sattāvāsavagga
26. Silāyūpasutta
Das Gleichnis von der steinernen Säule
Das habe ich gehört. Einmal hielt sich der Buddha in der Nähe von Rājagaha auf, im Bambushain, dem Futterplatz der Eichhörnchen.
Dort wandte sich der Ehrwürdige Candikāputta an die Bettelmönche: "Ehrwürdige, Devadatta lehrt die Bettelmönche so: Wenn das Herz eines Bettelmönchs „gefestigt“ ist, ist es angemessen für ihn zu sagen: "Ich verstehe: Versiegt ist die Geburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres mehr nach diesem hier (khīṇā jāti, vusitaṁ brahmacariyaṁ, kataṁ karaṇīyaṁ, nāparaṁ itthattāyāti).
Als er dies sagte, sagte der Ehrwürdige Sāriputta zu ihm: " Ehrwürdiger Candikāputta, Devadatta lehrt die Bettelmönche nicht auf diese Weise. Er lehrt auf diese Weise: Wenn das Herz eines Bettlers „unerschütterlich“ ist, ist es angemessen für ihn zu sagen: „Ich verstehe: Versiegt ist die Geburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres mehr nach diesem hier“.
Und zum zweiten und dritten Mal wandte sich der Ehrwürdige Candikāputta an die Bettelmönche ...
Und wie wird das Herz (Gemüt/citta) eines Mönchs unerschütterlich?
Das Herz ist unerschütterlich, wenn er weiß: "Mein Herz ist ohne Gier. ... "Mein Herz ist ohne Hass. ... "Mein Herz ist ohne Verblendung (geistige Blindheit). …
"Mein Herz ist nicht dazu angetan, gierig zu werden. ... "Mein Herz ist nicht dazu angetan, hasserfüllt zu werden. ... "Mein Herz kann nicht getäuscht werden. …
"Mein Herz ist nicht imstande zum Werden im sinnlichen Bereich (kama-bhava). ... "Mein Herz ist nicht dazu imstande zum Werden im Bereich der (feinstofflichen) Form (rūpa-bhava). ... "Mein Herz ist nicht imstande zum Werden im formlosen Bereich (arūpa-bhava).
Wenn das Herz eines Mönchs zu Recht auf diese Weise gefestigt (suparicita) ist, selbst wenn unwiderstehliche Anblicke in den Bereich des Sehens kommen, beschäftigen sie sein Herz nicht mehr. Das Herz bleibt unberührt (Gleichmut). Er ist beständig, unerschütterlich und sieht darin nur Vergehen.
Nehmen wir an, es gäbe eine Steinsäule, sechzehn Fuß lang. Acht Fuß sind unter der Erde begraben und acht über der Erde. Und heftige Stürme sollten aus dem Osten, Westen, Norden und Süden aufziehen. Sie konnten sie nicht zum Zittern und Beben bringen. Warum? Weil dieser Grenzpfeiler fest verankert ist, mit tiefen Fundamenten.
Ebenso, o Bruder, nehmen, wenn das Herz (Gemüt/citta) eines Mönchs richtig befreit ist (sammā vimuttacittassa), gar unwiderstehliche in das Blickfeld tretende sichtbare Formen, das Herz nicht mehr in Anspruch. Das Herz bleibt unbeeinflusst. Er ist beständig, unerschütterlich, und sieht darin nur Vergehen.
Wenn sogar unwiderstehliche Töne ... Gerüche ... Aromen ... Berührungen ... und Geistobjekte (dhammā) in den Denkkreis treten (manoviññeyyā), nehmen sie das Herz nicht in Anspruch. Das Herz bleibt unbeeinflusst. Er ist beständig, unerschütterlich und sieht darin nur Vergehen."
MN 29.7
...
"Also, ihr Bhikkhus, liegt der Nutzen dieses heiligen Lebens nicht in Gewinn, Ehre und Ruhm, oder im Erlangen von Ethik (sila), oder im Erlangen von Sammlung (samadhi), oder im Erkenntnisblick (ñāṇa-dassana). Sondern es ist diese
'unerschütterliche Befreiung des Herzens' (akuppā cetovimutti),
die das Ziel dieses heiligen Lebens ist, sein Kernholz und sein Ende.".