Die Suche nach dem Selbst

 Die Suche nach dem Selbst

In der Lehrrede MN 2 beschreibt der Buddha, was zu seiner Zeit unter einem Selbst (atman/atta) verstanden wurde:

„Es ist dieses mein Selbst, das da spricht und fühlt und hier und da die Ergebnisse guter und schlechter Taten erfährt; aber dieses mein Selbst ist unvergänglich, dauerhaft, ewig, nicht der Veränderung unterworfen, und es wird so lange wie die Ewigkeit überdauern“.

Das Selbst wurde somit als ein beständiger und ewiger Wesenskern in einem Lebewesen verstanden, welcher der Erleber und Gestalter sei.

Untersucht man jedoch einen Menschen unvoreingenommen, so ist ALLES, was uns ausmacht, lediglich die fünf Gruppen des Ergreifens (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen und Bewusstsein). Mehr ist da NICHT zu finden. Weder innerhalb noch außerhalb, weder immanent noch tranzendent. Lehren von einem Wesenskern (Selbst/Seele/Atman) bezeichnet der Buddha daher auch als spekulative Ansichten.

Diese fünf Gruppen interagieren dabei wie folgt:

Bedingt durch einen Körper mit Sinnesorganen und Denkorgan kommt es beim Kontakt der Sinne mit den Sinnesobjekten sowie dem Geist mit den Geistobjekten zu Empfindungen (angenehm, unangenehm od. indifferent), Wahrnehmungen (Assoziation und Benennung) und Gestaltungen (Willensregungen), welche zu Aktivitäten in Gedanken Worten und Werken führen. Bedingt durch die kognitiven Prozesse von Körper und Geist schließlich ist das Bewußtsein.

Wie kommt es zu den Willensregungen?

Was uns angenehm ist wollen wir erhalten bzw. immer wieder aufs Neue erleben. Was uns unangenehm ist, wollen wir loswerden bzw. zukünftig vermeiden. Beschäftigen wir uns mit diesen Empfindungen, so ergreifen wir zu Lebzeiten die Sinnes- und Geistobjekte. Im Tod ergreifen wir dann eine erneute Manifestation. Dies ist es, was der Buddha in seiner zweiten edlen Wahrheit zum Ausdruck bringt (SN 56.11):

Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Ursprung des Leidens (dukkha-samudaya):

Es ist dieses Verlangen (Dust/tanha), dass zum erneuten Werden (punobbhava) führende, mit Ergötzen und Begehren (nandi-rāga) verbundene, hier und da sich ergötzen, nämlich

das sinnliche Verlangen (kāma-taṇhā: nach Sinnes- und Geistobjekte),
das Verlangen nach Werden (bhava-taṇhā: aufgrund von Lust am Werden),
das Verlangen nicht mehr zu Werden (vi-bhava-taṇhā: aufgrund von Frust am Werden)."

Wie zuvor erläutert, bedarf es KEINES "Erlebers oder Gestalters". Stattdessen findet sich nur "bedingtes Erleben und bedingtes Gestalten". Darum besagt die Lehre des Buddha von „Kein-Selbst“ (an-atta) auch, dass es unabhängig von Körper und Geist NICHTS gibt, das empfinden, wahrnehmen, denken, sprechen und handeln würde, sondern dass diese Eigenschaften nur aufgrund von Ursachen und Bedingungen auftreten, ohne das dafür ein Wesenskern erforderlich wäre. 

Wo es kein Selbst gibt, da ist auch nichts zu finden, was wiedergeboren werden könnte. Der Buddha beschreibt stattdessen einen seit anfangsloser Zeit bestehenden Prozess bedingten Entstehens, Vergehens und erneuten Werdens (punobbhava), bei dem sich im Tod lediglich unsere Daseinsgrundlagen (Körper und Geist) erneuern, und  wodurch das dadurch bedingte Kontinuum des Bewusstseins weiter aufrecht erhalten wird.

ALLES, was wir noch erleben, haben oder sein wollen (Willensregungen), wird dabei zur Grundlage für die Aufrechterhaltung des Bewußtseins. Daher lehrt der Buddha das bedingte Entstehen (paṭicca-samuppāda) wie folgt:

(avijiā-paccayā sankhārā)

Bedingt durch Nicht-Wissen (in Bezug auf die vier edlen Wahrheiten) sind Gestaltungen (Willensregungen in Bezug auf Sinnes- und Geistobjekte sowie Daseinsgrundlagen) 

(sankhāra-paccayā viññānam)

    Bedingt durch Gestaltungen (was man noch erleben, haben oder sein möchte) ist (die Aufrechterhaltung des) Bewußtsein,

(viññāna-paccayā nāma-rūpam)

    Bedingt durch (den Fortbestand des) Bewußtsein sind Geist und Körper (Empfängnis).

Es sind unsere Willensregungen, welche zur Grundlage für die Aufrechterhaltung des Bewußtseins werden. Dies beschreibt der Buddha wie folgt:

Saṃyutta Nikaya 12.39
Der Wille (Cetanāsutta)

Bei Sāvatthī.

[Bedingt durch Nicht-Wissen (avijja) in Bezug auf die „Vier edlen Wahrheiten“ sind Gestaltungen (sankhara)]

„Was einer beabsichtigt (mentale Gestaltungen), ihr Bhikkhus, und
was er plant (was möchte ich erleben, haben od. sein), und
wozu auch immer es eine Tendenz gibt (Sinnes- u. Geistobjekte),

das wird eine Grundlage (ārammaṇa) für die Aufrechterhaltung (ṭhiti) des Bewusstseins. 

Wenn es eine Grundlage gibt, gibt es eine Unterstützung (patiṭṭhā) für das Bewusstsein

Wenn das Bewusstsein (zum Zeitpunkt der Empfängnis) übergeht (avakkanti), gibt es ein Wachstum (virūḷhe) von Geist und Körper (in der Gebärmutter)."

Wo, wie und unter welchen Umständen es eine erneute Manifestation gibt, ist abhängig von den karmischen Dispositionen aus früheren Manifestationen:

Aṅguttara Nikāya 3
76. Paṭhamabhavasutta (Werden 1)

Dann ging der Ehrwürdige Ananda zum Erhabenen und verbeugte sich bei seiner Ankunft vor ihm und setzte sich an eine Seite. Während er dort saß, sagte er zum Erhabenen: "Herr, dieses Wort 'Werden (bhava), Werden' - inwieweit gibt es ein Werden?"

"Ananda, wenn es kein Karma (kamma) gäbe, dass in der Sinnlichkeitsphäre zu Wirkung kommt (kāma-dhātu-vepakkañca), würde dann Sinnlichkeit-Werden wahrgenommen werden?" - "Nein, Herr."

"So ist Kamma das Feld (kamma khetta),
das Bewusstsein der Same (viññāṇa bīja) und
das Verlangen die Feuchtigkeit (taṇhā sneho).

Das Bewusstsein der Lebewesen (sattā),
die durch Unwissenheit gehemmt (avijjā-nīvaraṇa) und
durch Verlangen gefesselt (taṇhā-saṃyojana) sind,

findet in einer niedrigeren Sphäre (hīnāya dhātuyā) Unterstützung (patiṭṭhita).

So entsteht in der Zukunft ein erneutes Werden (punabbhavābhinibbatti).

"Wenn es kein Kamma gäbe, das in der (feinstofflichen) Form-Sphäre zur Wirkung kommt (rūpa-dhātu-vepakkañca), würde dann Form-Werden (als feinstofflich formhaftes Wesen) wahrgenommen werden?" - "Nein, Herr."

"So ist Kamma das Feld, das Bewusstsein der Same und das Verlangen (Durst/tanha) die Feuchtigkeit. Das Bewusstsein der Lebewesen, die durch Unwissenheit gehemmt und durch Verlangen gefesselt sind, findet in einer mittleren Sphäre (majjhima dhātu) Unterstützung. So entsteht in der Zukunft ein erneutes Werden.

"Wenn es kein Kamma gäbe, das in der Formlosen-Sphäre zur Wirkung kommt (arūpa-dhātu-vepakkañca), würde dann formloses Werden (als formloses Wesen) wahrgenommen werden?" - "Nein, Herr."

"So ist Kamma das Feld, das Bewusstsein der Same und das Verlangen die Feuchtigkeit. Das Bewusstsein der Lebewesen, die durch Unwissenheit gehemmt und durch Verlangen gefesselt sind, findet in einer verfeinerten Sphäre (paṇīta dhātu) Unterstützung.

So entsteht in der Zukunft ein erneutes Werden. Auf diese Weise gibt es ein Werden."

Die Frage nach dem Wer?

Wenn es keinen Wesenskern (Selbst/Seele) gibt, wer empfindet dann, wer bringt all die körperlichen, sprachlichen und geistigen Gestaltungen (sankhara) hervor, welche karmisch wirksam sind, wer empfängt sodann die Resultate seiner Aktivitäten (kamma-vipaka), wer erfährt Glück (sukha) und Leid (dukkha)?

Diese Frage ist so jedoch falsch gestellt!
Richtig wäre es zu fragen: Was sind die Bedingungen dafür?

ALLES, was in Erscheinung tritt, tut dies ausschließlich aufgrund von Ursachen und Bedingungen! 

SN 12.21
Paccayasutta

"Wenn dies ist, ist jenes (Iti imasmiṃ sati idaṃ hoti),
wenn dies entsteht, entsteht jenes (imassuppādā idaṃ uppajjati)."
...
„Ob ein Tathagata erscheint oder nicht, diese Bedingtheit existiert und ist eine natürliche Gegebenheit, ein Naturgesetz,

nämlich das Prinzip der Bedingtheit (idappaccayata)."

Nur Dukkha lehrt der Buddha und dessen Aufhören 

Der Buddha erläutert NIE etwas zu einem Selbst, weil dies eben NICHT existiert. Stattdessen erläutert er die fünf Gruppen des Ergreifens, die ALLES sind, was uns als Lebewesen ausmacht. Weil diese nur bedingt in Erscheinung treten, dabei unbeständig und vergänglich (anicca) sind, bezeichnet er diese auch als dukkha (leidvoll). Was vergänglich, leidvoll und veränderlich ist, dass kann kein beständiges und ewiges Selbst sein (an-atta) und gehört auch nicht zu einem vermeintlich transzendenten Selbst (Seele).

Oft wird behauptet, der Buddha habe sich nie klar dazu geäußert, dass es kein Selbst gibt. In MN 22 bringt er dies jedoch unmissverständlich gleich mehrfach zum Ausdruck. Eine Stelle hierzu lautet wie folgt:

„Ihr Bhikkhus, ein wohlunterrichteter edler Schüler, der die Edlen beachtet und in ihrem Dhamma bewandert und geschult ist, der aufrechte Menschen beachtet und in ihrem Dhamma bewandert und geschult ist,

betrachtet Form (Körper) so: ,Dies ist nicht mein, dies bin nicht ich, dies ist nicht mein Selbst.‘
Er betrachtet Empfindungen so: ,Dies ist nicht mein, dies bin nicht ich, dies ist nicht mein Selbst.‘
Er betrachtet Wahrnehmung so: ,Dies ist nicht mein, dies bin nicht ich, dies ist nicht mein Selbst.‘
Er betrachtet Gestaltungen so: ,Dies ist nicht mein, dies bin nicht ich, dies ist nicht mein Selbst.‘

Er betrachtet das, was gesehen, gehört, empfunden, erfahren, erlebt, gesucht und geistig erwogen wird, so: ,Dies ist nicht mein, dies bin nicht ich, dies ist nicht mein Selbst.‘

Und diese Grundlage für Ansichten, nämlich

(die Lehre der Brahmanen vom Atman und Brahman)

,Die Welt und das Selbst sind dasselbe; nach dem Tode werde ich unvergänglich, dauerhaft, ewig, nicht der Veränderung unterworfen sein, ich werde so lange wie die Ewigkeit überdauern‘—auch dies betrachtet er so: ,Dies ist nicht mein, dies bin nicht ich, dies ist nicht mein Selbst.‘“

„Da er sie so betrachtet, ist er nicht voll Aufregung über das, was NICHT existiert (ein Selbst!).“

Der Buddha spricht in diesem Zusammenhang auch von Leerheit (suññatā)

Es ist wichtig zu verstehen, dass das „Nichts“ oder der Nihilismus (natthikaditthi) nicht identisch mit dem Begriff suññata (Leerheit) ist, der sich in der Lehre Buddhas findet, und damit nicht verwechselt werden darf. Es gibt keine Leerheit an sich, wie oft falsch interpretiert wird, sondern alle Lebewesen sind lediglich "leer von einem Selbst" und gehören auch nicht zu einem vermeintlich transzendenten Selbst (Seele)!

Weil dies so ist, lehrte der Buddha seine Mönche wie folgt zu meditieren:

SN 41.7

„Und was ist die Befreiung des Herzens durch Leerheit (suññatā cetovimutti)?

Da ist ein Mönch in die Wildnis oder zur Wurzel eines Baumes oder zu einer leeren Hütte gegangen und reflektiert so:

'Dies (Körper und Geist nebst Bewusstsein) ist leer von einem Selbst und gehört auch nicht zu einem Selbst (suññamidaṁ attena vā attaniyena vā).' Das nennt man die Befreiung des Herzens durch Leerheit.“

Der Buddha erkannte, dass das Entstehen aller Dinge und Lebewesen, ja das gesamte Universum mit allen sichtbaren und uns nicht sichtbaren Sphären, von Ursachen und Bedingungen abhängt, und dass es da kein unveränderliches Absolutes, weder als Wesenskern (Seele/Atman) noch eine Weltseele (Brahmann) gibt. In dieser Hinsicht stand er im Gegensatz zur damals verbreiteten Philosophie der Upanişaden.

Die Philosophen der Upanişaden vermuteten in allen Wesen eine unsterbliche Seele (skt: Atman) und waren überzeugt, dass diese Seelen miteinander und zugleich mit der Weltseele (skt: Brahman) identisch sind. So lehrten sie denn daraus abgeleitet die All-Einheit, einen Monismus, demzufolge im Weltengrund Un-Unterschiedenheit, Nicht-Zweiheit oder Non-Dualität herrscht. Wer erkennt, daß alle Wesen „Eins“ und wir alle im Kern mit dem Absoluten (Gott/Brahman) identisch sind, wer die vordergründig-empirische Verschiedenheit und Vielfältigkeit der Wesen als Täuschung (skt: mayā) durchschaut, der sei erlöst.

Der Buddha widersprach diesen Vorstellungen in allen Punkten!!

Weder gibt es, so verkündete er, eine den Körper überdauernde Seele (Atman)
noch ein in oder hinter allem bestehendes Absolutes (Brahman).

Man kann daher die Vielheit der Welt nicht aus einem Absoluten ableiten oder die Erlösung im Aufgehen in diesem Absoluten erblicken. Der Buddha trat dieser Lehre vom Selbst (atta vada) mit seiner Lehre vom Kein-Selbst (an-atta vada) entgegen.

Jede Religion, die eine unsterbliche Seele lehrt, muß annehmen, daß diese nach der Erlösung fortbesteht und muß sie in einem Erlösungsbereich, einer Heilssphäre unterbringen. 

Die vermeintliche Seele

kann in der All-Seele (brahman) aufgehen wie in der Upanişad-Philosophie,
sie kann sich mit der Gottheit vereinigen wie im theistischen Hinduismus,
oder sie kann in ein Paradies eingehen wie im Christentum und Islam.

Dank seiner Erkenntnis von „Kein Selbst“ brauchte sich der Buddha um das Schicksal einer Seele nicht zu kümmern und sah die Erlösung oder besser Befreiung (vimutti) im Aufhören des Werdens (bhava nirodha) im Daseinskreislauf (samsara):

Im Verlöschen (nibbāna) des durch Daseinsgrundlagen (Körper und Geist) bedingten Bewusstseins.

Den Vorwurf einiger Brahmanen, er sei ein Nihilist (venayika), denn er lehre die Vernichtung des Selbst wies er von sich. Er vernichte nur eins: Das Leiden, erwiderte er (M 22).

 "Der Mönch Gotama ist einer, der in die Irre führt; er beschreibt die Vernichtung, die Zerstörung, die Auslöschung eines existierenden Wesens (ein beständiges und ewiges Selbst).‘ Da ich das nicht lehre, da ich das nicht verkünde, bin ich also grundlos, auf nichtige Weise, unwahr und falsch von einigen Mönchen und Brahmanen so dargestellt worden: ,Der Mönch Gotama ist einer, der in die Irre führt; er beschreibt die Vernichtung, die Zerstörung, die Auslöschung eines existierenden Wesens.

Ihr Bhikkhus, sowohl früher wie auch jetzt ist das, was ich verkünde, Dukkha (Körper und Geist nebst Bewusstsein) und das Aufhören von Dukkha (kein erneutes Werden mehr)."

Da ALLES, was uns als Lebewesen ausmacht, nur die bedingt in Erscheinung tretenden fünf Gruppen (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen u. Bewusstsein) sind und darin kein beständiges und ewiges Selbst (Seele/Atman) zu finden ist, da sich zudem mit ihrem Dasein früher oder später leidvolle Erfahrungen (durch Ergreifen von etwas, das unbeständig und vergänglich ist) verbunden sind, ist es um ihr Aufhören nicht schade.

Und genau das Aufhören des Werdens im Daseinskreislauf ist das Ziel der Schulung des Buddha!

Wie kommt es denn nun zu der Einbildung ‚ich bin‘? 

SN 22.47 Betrachtung (Samanupassanāsutta)

so habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene zu Sāvatthī, im Jeta-Hain, im Kloster des Anāthapindika.

Dort wandte sich der Erhabene an die Mönche: „Ihr Mönche!“—„Ja, o Herr“, antworteten jene Mönche dem Erhabenen. Der Erhabene nun sprach also:

„Diejenigen Asketen und Brahmanen, die Verschiedenes für das Selbst (attānaṁ) halten, alle diejenigen halten (entweder) die fünf Gruppen des Anhangens (für das Selbst) oder etwas anderes (aññataraṁ).

Welche fünf?

Es ist da, ihr Mönche, ein unerfahrener Weltmensch...;

der hält die Körperlichkeit für das Selbst (Ich)
oder das Selbst als Körperlichkeit besitzend (Mein)
oder die Körperlichkeit als im Selbst (Atman u. Brahman)
oder das Selbst als in der Körperlichkeit (Seelenglaube).

Er hält das Gefühl—die Wahrnehmung—die Gestaltungen—das Bewußtsein für das Selbst oder das Selbst als (Gefühl...) Bewußtsein besitzend oder das Bewußtsein als im Selbst oder das Selbst als im Bewußtsein.

Bei solcher Betrachtung schwindet ihm NICHT (die Vorstellung des) ‚Ich bin‘ (asmī).

Wenn ihm aber, ihr Mönche, (die Vorstellung des) ‚Ich bin‘ nicht geschwunden ist (avigate), so wird man von den fünf Sinnesfähigkeiten überwältigt, nämlich der Sinnesfähigkeit des Gesichts, des Gehörs, des Geruchs, des Geschmacks und des Körpergefühls.

"Es gibt Bhikkhus, den Geist (mano), es gibt geistige Phänomene (dhammā), es gibt das Element des Nicht-Wissens (avijjādhātu) .

„Wenn nun ein unerfahrener Weltmensch ein Gefühl empfindet (angenehm, unangenehm oder indifferent), das entstanden ist aus einem mit Nicht-Wissen (avijja) verbundenen Kontakt (der Sinne mit den Sinnesobjekten sowie dem Geist mit den Geistobjekten), 

dann kommt ihm "Ich bin" (asmī) in den Sinn;

"Ich bin dies" (ayamahamasmī) kommt ihm in den Sinn;
"Ich werde sein" (bhavissan: Ewigkeitsansicht)
"Ich werde nicht sein" (na bhavissan: Vernichtungsansicht) und
"Ich werde formhaft sein“ (rūpī bhavissan: physisch od. feinstofflich) und
"Ich werde formlos sein" (arūpī bhavissan: ohne spezifische Form) und
"Ich werde wahrnehmend sein" (saññī bhavissan) und
"Ich werde nicht wahrnehmend sein" (asaññī bhavissan) und
"Ich werde weder wahrnehmend noch nicht wahrnehmend sein" (nevasaññīnāsaññī bhavissan),

dann kommen ihm diese Dinge in den Sinn.

"Die fünf Sinnesfähigkeiten bleiben intakt, Bhikkhus, aber in Bezug auf sie gibt der unterwiesene edle Jünger die Unwissenheit (avijja) auf und erweckt (wahres) Wissen (vijja). Mit dem Verschwinden der Unwissenheit und dem Entstehen (von) Wissen 

kommt ihm 'Ich bin' NICHT in den Sinn;
'Ich bin dies' kommt ihm nicht in den Sinn;
'Ich werde sein' und 'Ich werde nicht sein' und
'Ich werde forhaft sein' und
'Ich werde formlos sein' und 
'Ich werde wahrnehmend sein' und
'Ich werde nicht wahrnehmend sein' und
'Ich werde weder wahrnehmend noch nicht wahrnehmend sein' 

diese Dinge kommen ihm nicht in den Sinn.“

Die Wahrnehmung der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit (anicca) ist hierbei die Grundlage zur Ausrottung der Einbildung "Ich bin" (asmi-mano):

AN 9.1

Die Wahrnehmung der Vergänglichkeit (anicca-saññā) hat er zu entfalten zur Ausrottung der Einbildung ‚ich bin‘ (asmi-māna).

Bei der Wahrnehmung der Vergänglichkeit nämlich, ihr Mönche, festigt sich im Mönche die Wahrnehmung von „kein Selbst“ (an-atta); und des kein Selbst gewahr, erreicht er die Ausrottung der Einbildung ‚ich bin‘ und erlangt

Erlöschen (nibbāna) durch das Sehen (diṭṭheva) des Dhamma.“

Die wohl bekannteste Anweisung zur Überwindung des Ich-Dünkens findet sich im Bāhiya Sutta. Der Buddha erklärt hier, dass man nicht mehr aus dem machen soll, was erfahrbar ist:

Udāna 1.10
Die Erwachung
Bāhiya
...
„Was das betrifft, Bāhiya, so hast du dich also in dieser Weise zu üben,

(Da ist kein Selbst/an-atta, da sind nur kognitiven Prozesse)

daß alles das, was du siehst (diṭṭhe), hörst (sute), denkst (mute) und dessen du dir bewusst wirst (viññāte), ausschließlich nur als Gesehenes, Gehörtes, Gedachtes und Bewußtgewordenes zu gelten hat.

In dieser Weise also, Bāhiya, hast du dich zu üben.

(Nichts zu „Ich und Mein“ machen)

Insofern nun, Bāhiya, alles das, was du siehst, hörst, denkst (Sinnes- u. Geistobjekte), oder dessen du dir bewusst wirst, für dich ausschließlich nur als Gesehenes, Gehörtes, Gedachtes oder Bewusstgewordenes gilt,

(Da findet sich kein „Erleber“ und kein „Gestalter“ sondern nur bedingtes Erleben und bedingtes Gestalten)

dann bist du, Bahiya, nicht dabei (tato tvaṃ, bāhiya, na tena;);
wenn du, Bahiya, nicht dabei bist, dann bist du, Bahiya, weder in dieser Welt noch in jener Welt noch zwischen beiden.
Eben dies ist das Ende des Leidens (esevanto dukkhassā).“

(Bahiya wurde ein Arahant)

Da wurde durch diese in kurzer Form gehaltene Lehrverkündigung des Erhabenen das Herz (Gemüt/citta) des Bāhiya Dāruciriya unverzüglich, indem er nicht mehr haftete (an der Einbildung ‚ich bin‘), von den Trieben (Unwissenheitstrieb, Werdenstrieb u. Sinnentrieb) befreit (anupādāya āsavehi cittaṃ vimucci).“

Diese Sichtweise erläutert der Buddha auch in der nachfolgenden Lehrrede:

Leer ist die Welt (SN 35.85 Suññatalokasutta)

Da näherte sich der ehrwürdige Ānanda dem Erhabenen ... und sagte zu ihm: "Ehrwürdiger Herr, es wird gesagt: „Leer (suñña) ist die Welt, leer ist die Welt.' Auf welche Weise, ehrwürdiger Herr, wird gesagt: 'Leer ist die Welt'?"

"Es ist so, Ānanda, weil sie leer ist von einem Selbst (atta) und von dem, was zu einem Selbst gehört (attaniya), dass gesagt wird: 'Leer ist die Welt.'“

Und was ist leer von einem Selbst oder von etwas, das zu einem Selbst gehört? Das Auge ist leer von einem Selbst oder von etwas, das zu einem Selbst gehört. Formen/Körper, Augenbewusstsein und Augenberührung sind leer von einem Selbst oder von etwas, das zu einem Selbst gehört. …

(in gleicher Weise für alle Sinne und Sinnesobjekte sowie Geist und Geistobjekte)

Das angenehme, schmerzhafte oder neutrale Gefühl, das durch Geistberührung bedingt entsteht, ist ebenso leer von einem Selbst oder von etwas, das zu einem Selbst gehört. Man sagt: ‚Die Welt ist leer‘, weil sie leer ist von einem Selbst oder von etwas, das zu einem Selbst gehört.“

In der Schulung des Buddha ist es von zentraler Bedeutung die fünf Gruppen des Ergreifens, welches ALLES sind, was uns als Lebewesen ausmacht, vollständig zu verstehen:

Saṁyutta Nikāya 22
149. Anattānupassīsutta (Betrachtung des Nicht-Selbst)

In Sāvatthī.

"Für einen Sohn aus gutem Hause, ihr Mönche, der aus Vertrauen in die Hauslosigkeit gezogen, ist dies der Lehre gemäß, (ayamanudhammo): 

Er verweilt in der Betrachtung des Nicht-Selbst (anattānupassī) in Bezug auf Form/Körper, Empfindungen, Wahrnehmung, Gestaltungen und Bewusstsein.

Einer, der in der Betrachtung des Nicht-Selbst in Bezug auf Körper, Empfindungen, Wahrnehmung, Gestaltungen und Bewusstsein verweilt, versteht vollständig (parijānāti) Körper, Empfindungen, Wahrnehmung, Gestaltungen und Bewusstsein.

Einer, der den Körper, die Empfindungen, die Wahrnehmung, die Gestaltungen und das Bewusstsein vollständig versteht, ist befreit (parimuccati) von Körper, Empfindungen, Wahrnehmung, Gestaltungen und Bewusstsein.

(kein erneutes Werden mehr)

Er ist befreit von (dukkha) Geburt, Altern und Tod; frei von Kummer, Klage, Schmerz, Angst und Verzweiflung; ist befreit von Leiden (parimuccati dukkhasmā), sage ich.“

Saṁyutta Nikāya 35
19. Āsīvisavagga
246. Vīṇopamasutta

(Da sind nur Körper und Geist nebst Bewusstsein, die bedingt in Erscheinung treten)

„Ebenso, Bhikkhus, erforscht ein Bhikkhu die Form/Körper (bestehend aus den vier Elementen u. entstanden aus Nahrung), soweit es einen Bereich für die Form gibt,

er erforscht die Empfindungen (freudvoll, leidvoll od. indifferent und bedingt durch Sinnen- od. Geistkontakt), soweit es einen Bereich für die Empfindungen gibt,

er erforscht die Wahrnehmung (Assoziation und Benennung und bedingt durch Sinnen- od. Geistkontakt), soweit es einen Bereich für die Wahrnehmung gibt,

er erforscht die Gestaltungen (Willensregungen, die zu Aktivitäten in Gedanken, Worten und Werken führen, welche bedingt sind durch Sinnen- od. Geistkontakt), soweit es einen Bereich für Gestaltungen gibt,

er erforscht das Bewusstsein (Sinnes- und Geistbewusstsein, bedingt durch die kognitiven Prozesse von Körper und Geist), soweit es einen Bereich für das Bewusstsein gibt.

Wenn er die Form (Körper) in dem Maße untersucht, in dem es einen Bereich für die Form gibt, ... das Bewusstsein in dem Maße, in dem es einen Bereich für das Bewusstsein gibt, dann fallen ihm

alle Vorstellungen von 'ich' oder 'mein' oder 'ich bin', die ihm vorher in den Sinn kamen, nicht mehr ein.

Aṅguttara Nikāya 3
4. Devadūtavagga
33. Sāriputtasutta (Sāriputta)

Es begab sich da der ehrwürdige Sāriputta zum Erhabenen. Dort angelangt, begrüßte er den Erhabenen ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Und der Erhabene sprach zum ehrwürdigen Sāriputta also:

„Mag ich, Sāriputta, die Lehre in Kürze darlegen, oder mag ich die Lehre ausführlich darlegen, oder mag ich die Lehre kurz sowie ausführlich darlegen,

Versteher sind schwer zu finden.“

„So ist es an der Zeit, Erhabener, so ist es an der Zeit, Gesegneter, daß der Erhabene die Lehre in Kürze darlege, die Lehre ausführlich darlege, die Lehre kurz sowie ausführlich darlege!

Versteher der Lehre werden sich finden!“

„So soll man denn, Sāriputta, sich also üben:

(„das gehört mir nicht; das bin ich nicht; ich ist nicht mein Selbst“)

Bei diesem Körper nebst Bewusstsein (saviññāṇake kāye) soll keine Neigung (ānānusaya)

des Ich-Machens (ahaṅkāra)
des Mein-Machens (mamaṅkāre)

in Bezug auf alle Merkmale (bahiddhā ca sabba-nimittesu) nicht mehr in einem auftreten.

Und jene Gemüts-befreiung (ceto-vimutti: frei von Gier und Hass)
und Weisheits-befreiung (paññā-vimutti: frei von Verblendung)

wollen wir uns zu eigen machen, in deren Besitz verweilend, einem keinerlei Neigung zum Ich- und Mein-Machen mehr aufsteigen können.‘ So, Sāriputta, habt ihr euch zu üben!

Wenn nun einem Mönch bei diesem Körper nebst Bewusstsein wie auch bei allen Merkmalen keinerlei Neigung zum Ich- und Mein-Machen mehr aufkommt und er im Besitze jener Gemütsbefreiung und Weisheitsbefreiung verweilt, wobei dem darin Verweilenden keinerlei Neigung zum Ich- und Mein-Machen mehr aufsteigen kann,

so heißt es von einem solchen Mönch,

daß er den Verlangen vernichtet (acchecchi taṇha),
die Fesseln abgestreift (vivattayi saṃyojana),
durch das rechte Verständnis der Selbst-Täuschung (sammā mānābhisamayā)
dem Leiden ein Ende gemacht hat (antamakāsi dukkhassa).

Dies aber, Sāriputta, habe ich mit Beziehung hierauf auf Udayas Frage im ‚Weg zum anderen Ufer‘ erwidert:

‚Aufgeben der Wahrnehmung von Sinnlichkeit (Pahāna kāma-saññā), 
sowie Kummer und Sorgen (domanassāna cūbhaya);
Entfernung geistiger Starrheit (Thinassa ca panūdana),
Vermeidung aller Reueskrupel (kukkuccāna nivāraṇa: durch Ethik/sila),

In achtsamen Gleichmut gründlich geklärte (upekkhā-sati-saṃsuddha),
Durch das (Buddha-)Dhamma weise gelenkte (dhammatakkapurejava),
Erkenntnis-Erlösung künde ich euch (aññā-vimokkha pabrūmi)
Als die Vernichtung der Unwissenheit (avijja pabhedana).‘“

Weil alle Dinge kein Selbst sind, lehrt der Buddha sich mit nichts zu identifizieren, also nichts zu „Ich und Mein“ zu machen und stattdessen das „selbst-lose“ bedingte Entstehen (paṭicca-samuppāda) und Aufhören im Daseinskreislauf (samsara) zu erkennen. 

Was aufgrund von Bedingungen (avijja/Unwissenheit u. tanha/Verlangen) in Erscheinung tritt, kann durch das Aufhören dieser Bedingungen auch aufhören in Erscheinung zu treten.

SN 12.21

„Wenn dies ist, ist jenes (Iti imasmiṃ sati idaṃ hoti),
wenn dies entsteht, entsteht jenes (imassuppādā idaṃ uppajjati).

Wenn dies nicht ist, ist jenes nicht (Imasmiṃ asati idaṃ na hoti),
wenn dies aufhört, hört jenes auf (imassa nirodhā idaṃ nirujjhati).“

Auf dieser Erkenntnis beruht die ganze Lehre des Buddha. Gäbe es da etwas Beständiges und Ewiges, also ein Selbst, so wäre es nicht möglich Nirvana, das todlose Element (amata-dhātu), zu erlangen!!

Es ist NICHT die Vernichtung eines vermeintlichen Selbst, sondern das Aufhören des Werdens (bhava nirodha) im Daseinskreislauf. Nirvana ist das Unbedingte und Ungewordene, von dem der Buddha und seine Arahants sagen, das es Frieden und das höchste Glück sei. Kein Entstehen, Vergehen und Anderswerden zeigt sich mehr.

Dies bedeutet aber auch, dass solange wir noch irgendwo mit irgendwelchen Daseinsgrundlagen (Körper und Geist) nebst dem daraus resultierenden Bewusstsein in Erscheinung treten, dies noch NICHT Nirvana ist.

AN 6.104 - Nicht mehr getäucht werden (Atammayasutta)

Mönche, sechs Vorteile zu erwägen, ist völlig ausreichend, um die Wahrnehmung des Kein-Selbst (an-atta-sañña) in allen Dingen (sabba-dhamma) OHNE Ausnahme (anodhi) zu errichten.

Welches sind diese sechs Vorteile?

‚Ich werde durch nichts in der ganzen Welt getäucht werden (atammayo).‘
‚Das Ich-Machen (ahaṅkārā) wird für mich aufhören.‘
‚Das Mein-Machen (mamaṅkārā) wird für mich aufhören.‘
‚Mit außergewöhnlicher Erkenntnis werde ich ausgestattet sein.
‚Die Ursachen werde ich klar schauen, (hetu ca me sudiṭṭho bhavissati)
sowie die aus Ursachen entstandenen Dinge.‘ (hetusamuppannā ca dhammā)

Diese sechs Vorteile zu erwägen, ist völlig ausreichend, um die Wahrnehmung des Kein-Selbst in allen Dingen ohne Ausnahme zu errichten."

Der Auszug aus der nachfolgenden Lehrrede zeigt klar, wie der Buddha es verstand, seine Schüler anhand von gezielten Fragen zur Erkenntnis des Kein-Selbst (an-atta) zu führen. Was vergänglich und leidvoll ist, sowie dem Wandel unterliegt, das kann kein Selbst sein, noch kann es zu einem vermeintlich transzendenten Selbst (Seele) gehören:

Saṃyutta Nikaya 22
Die Daseinsgruppen
86. Anuradha

(es gibt kein immanentes Selbst)

Was meinst du, Anuradha, ist die Körperlichkeit unvergänglich oder vergänglich?“—„Vergänglich (anicca), o Herr.“—„Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?“—„Leidig (dukkha), o Herr.“—„Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen:

‚Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst‘?“—„Gewiß nicht, o Herr.“

„Sind Gefühl—Wahrnehmung—Gestaltungen—Bewußtsein unvergänglich oder vergänglich?“—„Vergänglich, o Herr.“—„Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?“—„Leidig, o Herr.“—„Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen: ‚Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst‘?“—„Gewiß nicht, o Herr.“

[Alle Daseinsgrundlagen, auf allen Ebenen bedingten Seins, zu allen Zeiten, sind nicht das Selbst (anatta)]

„Daher, o Mönche: was es irgend an Körperlichkeit gibt—an Gefühl—an Wahrnehmung—an Gestaltungen—an Bewußtsein gibt, sei es vergangen, künftig oder gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe, von jeder Körperlichkeit—jedem Gefühl—jeder Wahrnehmung—allen Gestaltungen—jedem Bewußtsein gilt:

‚Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst!‘ So hat man dies der Wirklichkeit gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.

(Was sind wir denn nun unabhängig von den Daseinsgrundlagen?)

Was meinst du, Anuradha: Betrachtest du die Körperlichkeit als den Vollendeten?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Betrachtest du das Gefühl—die Wahrnehmung—die Gestaltungen—das Bewußtsein als den Vollendeten?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Was meinst du, Anuradha: Betrachtest du den Vollendeten als IN der Körperlichkeit?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Betrachtest du den Vollendeten als AUSSERHALB der Körperlichkeit?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Betrachtest du den Vollendeten als im Gefühl—in der Wahrnehmung—in den Gestaltungen—im Bewußtsein?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Betrachtest du den Vollendeten als außerhalb von Gefühl—als außerhalb von Wahrnehmung—von Gestaltungen—von Bewußtsein?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Was meinst du, Anuradha: Betrachtest du Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen, Bewußtsein (zusammen) als den Vollendeten?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

(es gibt auch kein transzendentes Selbst)

„Was meinst du, Anuradha: Einen, der OHNE Körperlichkeit ist, ohne Gefühl, ohne Wahrnehmung, ohne Gestaltungen und ohne Bewußtsein, betrachtest du den als den Vollendeten?“—„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Da nun also von dir, o Anuradha, der Vollendete nicht einmal bei Lebzeiten wirklich und wahrhaft aufgefunden werden kann, ist dann deine Behauptung angebracht: ‚Der da der Vollendete ist, das höchste Wesen, das edelste Wesen, der das höchste Ziel erreicht hat; soll ein solcher Vollendeter bezeichnet werden, dann wird er es außerhalb dieser vier Möglichkeiten:

(was zu Lebzeiten nicht gefunden werden kann, ist auch im Tod nicht auffindbar)

Der Vollendete besteht nach dem Tode,
der Vollendete besteht nicht nach dem Tode,
der Vollendete besteht und besteht nicht nach dem Tode,
der Vollendete besteht weder noch besteht er nicht nach dem Tode‘?“

„Wahrlich nicht, o Herr.“

„Gut, gut, Anuradha! Dies nur, o Anuradha, verkünde ich, früher wie heute: das Leiden (Körper und Geist nebst Bewusstsein) und des Leidens Aufhebung (durch das Aufhören des Werdens im Daseinskreislauf).“

Das nachtodliche Nibbāna des Arahant, in dem die fünf Daseinsgruppen (khandha) nicht mehr in Erscheinung treten, und er daher als Person nicht mehr fassbar ist, wird meist Parinibbana, »Rundum-Erlöschen« genannt.

Mehrfach findet sich im Palikanon die Frage, ob ein Arahant nach dem Tod noch existiere oder nicht (siehe oben). Die Antwort ist, dass die Frage so nicht gestellt werden kann, weil alles, womit der Arahant bisher beschrieben werden konnte nicht mehr in Erscheinung tritt.

Nirvana bedeutet erlöschen. Was ist erloschen?

Es ist das durch Körper und Geist bedingte Bewusstsein. Ist der Durst nach Sinnlichkeit (Sinnes- und Geistobjekte) sowie Werden überwunden, so hat das Bewusstsein keine Stütze mehr. Somit kommt es auch NICHT mehr zu erneutem Werden (punobbhava), Geburt, Alter, Krankheit und Tod.

Nirvana, das Unbedingte und Ungewordene, entzieht sich unseren Denkkategorien und Beschreibungen. Der Daseinskreislauf (samsara) ist für den Arahant zu seinem Ende gelangt. Er kann daher in den bedingten Daseinsbereichen nicht mehr aufgefunden werden.

Mehrfach findet sich im Palikanon die Frage, ob ein Nachtodlich-Erlöster noch existiere oder nicht. Der Buddha schweigt dazu, weil es nicht zutreffend ist. Das Unbedingte und Ungewordene entzieht sich unseren Denkkategorien und kann somit auch nicht beschrieben werden. Wie sollte man auch etwas beschreiben, was nicht mehr in Erscheinung tritt.

Bedingt durch Bewusstsein sind Geist und Körper (viññāna-paccayā nāma-rūpam). Setzt sich das Bewusstseins nicht mehr fort, so treten auch keine neuen Daseinsgrundlagen (Körper und Geist) mehr in Erscheinung.

DN 11. Die Lehrrede an Kevaddha
...

„Die Frage Mönch, sollte man nicht so stellen: ‚Wo gehen, Verehrungswürdiger, diese vier Elemente restlos unter, das Erd-Element, das Wasser-Element, das Feuer-Element, das Luft-Element?

(Kein Entstehen, Vergehen und Anderswerden zeigt sich mehr)

So sollte man diese Frage stellen: Wo kann Wasser, Erde, Feuer und Luft nicht mehr bestehen?

Lang und kurz, klein und groß, schön und widerlich sind nicht zu sehen.

Wo gehen Geist und Körper (nama-rupa) ohne Überrest unter?

Die Antwort wäre so:

Wo Bewusstsein, das unsichtbare, das endlose, völlig aufgegeben wurde,
da kann Wasser, Erde, Feuer, und Luft nicht mehr bestehen,
nicht lang und kurz, klein und groß, schön und widerlich,

da gehen Geist und Körper ohne Überrest unter.

Wenn Bewusstsein aufhört (viññāṇassa nirodhena), geht alles unter“.

Die Lehre des Buddha von kein Selbst (an-atta) besagt, dass es NICHTS Beständiges und Ewiges gibt, was wiedergeboren werden könnte. ALLES, was uns ausmacht sind lediglich Körper und Geist nebst Bewusstsein. Wenn die Bedingungen (tanha) für das erneute Werden (punobbhava) von Körper und Geist aufhören, dann erlischt auch das dadurch bedingte Bewusstsein. Da ein transzendentes Selbst unabhängig von den fünf Gruppen nicht existiert (siehe oben), bedeutet Nirvana Erlöschen.

SN 22.87
...
„Wo hat das Bewußtsein Vakkalis, des edlen Sohnes, eine Stütze (Körper und Geist) gefunden?‘

Mit stützelosem Bewußtsein aber ist Vakkali, der edle Sohn, verloschen.“

Dies ist es, was der Buddha dem Vakkali mit dem nachfolgenden Feuergleichnis erklären möchte:

M. 72

Der Wanderasket Vacchagotta fragt den Erhabenen:

„Wo, Herr Gotama, wird der gemüts-befreite (ceto-vimutti) Mönch wiedergeboren?"
„Daß er wiedergeboren werde, habe ich nicht gelehrt."

„Dann wird er wohl nicht wiedergeboren?"
„Auch das, Vaccha, habe ich nicht gelehrt."

„Dann wird er wohl weder wiedergeboren noch nicht wiedergeboren?"
„Auch das, Vaccha, habe ich nicht gelehrt."

„So antwortest du mir, Herr Gotama, stets auf alle meine Fragen, daß du das nicht gelehrt habest. Ich bin nun, Herr Gotama, in Ungewißheit und Verwirrung geraten; und was ich da bei den früheren Gesprächen mit dem Herrn Gotama an Vertrauen gewonnen hatte, das ist mir nun wieder geschwunden."

„Genug also, Vaccha, mit deiner Ungewißheit und Verwirrung. Gar tief wahrlich, Vaccha, ist diese Lehre, schwer zu erkennen, schwer zu verstehen, die friedvolle, erhabene,

dem logischen Denken unzugängliche,
subtile, nur Verständigen verständliche.

Diese wirst du schwer verstehen ohne Deutung, ohne Geduld, ohne Hingabe, ohne Anstrengung. So will ich dir denn, Vaccha, eben darüber Fragen stellen; und wie es dir gut dünkt, mögest du diese beantworten.

Was meinst du, Vaccha, wenn da vor dir ein Feuer brennt, weißt du da wohl: ,Hier brennt ein Feuer vor mir’?"

„Gewiß, Herr Gotama."

„Sollte dich nun jemand fragen, wodurch jenes vor dir brennende Feuer am Brennen bleibt, was würdest du auf solche Frage erwidern?"

„Ich würde sagen, daß es durch Stroh und Holz bedingt am Brennen bleibt."

„Wenn nun aber dieses Feuer ausgeht, weißt du dann wohl, daß es ausgegangen ist?"

„Ja, Herr Gotama."

„Wenn dich nun aber jemand fragen sollte, wo das ausgegangene Feuer hingegangen ist, nach welcher Richtung, nach Osten, Westen, Norden oder Süden, was würdest du auf solche Frage erwidern?"

„Das kommt nicht in Betracht, Herr Gotama. Denn das durch Stroh und Holz im Gange gehaltene Feuer hat ja diese Dinge verzehrt und ist, durch diese nicht weiter genährt, ohne Brennstoff erloschen."

(Nirvana ist NICHT die Vernichtung sondern das Aufhören des Werdens)

„Genau so auch, Vaccha, ist alle Körperlichkeit, alles Gefühl, alle Wahrnehmung, sind alle Gestaltungen, ist alles Bewußtsein, wodurch man den Vollendeten bezeichnen möchte, vom Vollendeten aufgegeben, an der Wurzel zerstört, einem Palmstumpf gleichgemacht, vernichtet und keinem künftigen Wiederaufkeimen mehr ausgesetzt. Von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen und Bewußtsein aber abgelöst,

(das Ungewordene kann nicht mehr beschrieben werden)

ist der Vollendete tief, unermeßlich, schwer zu ergründen, gleichwie das tiefe Meer."

Nirvana, das Erlöschen, ist also NICHT die Vernichtung eines vermeintlichen Selbst, sondern lediglich das Aufhören des Werdens (bhava-nirodha) im Daseinskreislauf (samsara). Was seit anfangsloser Zeit, im Tod eines Lebewesens, immer wieder aufs Neue gemäß der karmischen Dispositionen in Erscheinung getreten ist (Körper und Geist), hat mit dem Aufhören des Verlangens (Durst/tanha) nach sinnlichem Erleben und Manifestation (dritte edle Wahrheit) aufgehört weiter in Erscheinung zu treten. Was dann eintritt, ist das Ungewordene. Kein Entstehen, Vergehen und Anderswerden zeigt sich mehr.

Dies ist das Parinirvana des Arahant!

itivuttaka 43
Das Ungeborene (Ajātasutta)

Gesagt wurde dies vom Erhabenen, gesagt von dem Heiligen, so habe ich gehört:

„Es gibt, ihr Jünger,

ein Ungeborenes (ajāta),
Ungewordenes (abhūta),
Ungemachte (akata),
Ungestaltetes (asaṅkhata).

Wenn es, ihr Jünger, dieses Ungeborene, Ungewordene, Ungemachte, Ungestaltete nicht gäbe, so wäre hier ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Gemachten, Gestalteten (jātassa bhūtassa katassa saṅkhatassa) nicht zu erkennen.

Weil es nun aber, ihr Jünger, ein Ungeborenes, Ungewordenes, Ungemachtes, Ungestaltetes gibt, deshalb ist ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Gemachten, Gestalteten zu erkennen.“

Dies sprach der Erhabene; daher heißt es mit Bezug hierauf folgendermaßen:

„Das Geborene (jāta),
Gewordene (bhūta),
Entstandene (samuppanna),
Gemachte (kata),
unbeständig Gestaltete (saṅkhata-addhuva),
aus Alter und Tod Gebildete (jarā-maraṇa-saṅghāṭa),
das Nest des Siechtums (roganīḷa),
das Gebrechliche (pabhaṅgura),
aus dem Hunger nach Nahrung Gewordene (ahāra-nettippa-bhava),

es reicht nicht hin, um daran Wohlgefallen zu finden (nālam tadabhinandituṃ).

Der Ausweg aus ihm ist der Friede (tassa nissaraṇa santa),
das dem Denken Unzugängliche (atakkāvacara),
das Beständige (dhuva: konstant, unveränderlich),
das Ungeborene, Unentstandene (ajāta asamuppanna),
der Zustand, frei von Kummer und Sorgen (asoka viraja pada),
die Aufhebung der leidvollen Dinge (nirodho dukkha-dhammā),
das selige Zurruhekommen der Gestaltungen (saṅkhārūpasamo sukho).“

Auch dies ist vom Erhabenen gesagt worden, so habe ich gehört.


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