Betrachtungen

Betrachtungen (anussati) bzw. Wahrnehmungen (saññā) 

Das Ziel des edlen achtfachen Pfades ist die Befreiung vom Werden im Daseinskreislauf (bhava nirodha). Wir befinden uns seit anfangsloser Zeit im Daseinskreislauf, weil es da ein Verlangen (Durst/tanha) nach fortgesetztem Werden und sinnlichem Erleben gibt. Dieses Verlangen erlischt erst dann, wenn wir desillusionierung (nibbida) sind, wenn wir erkannt haben, dass

alle Dinge und Lebewesen bedingt in Erscheinung treten und dabei unbeständig und vergänglich (anicca) sind,
deshalb leidvolle Erfahrungen (dukkha) in jeder Existenz früher oder später wieder auf uns warten,
und was vergänglich, leidvoll und wandelbar ist, kein beständiges und ewiges Selbst (anatta) sein kann,
und auch nicht zu einem vermeintlich transzendenten Selbst (Seele) gehört.

Die Betrachtungen (anussati - wörtlich: sich erinnern) bzw. Wahrnehmungen (saññā) sind Reflexionen, die durch tiefgründiges Erwägen (yoniso manasikara) zur Desillusionierung am Werden im Daseinskreislauf (samsara) führen. Desillusioniert schwindet die Begierde (virāga). Begierdelos sind wir befreit (vimutti). Desillusionierung erlangen wir, indem wir die Dinge sehen, wie sie wirklich sind.

Welche Betrachtungen / Wahrnehmungen wir zur Desillusionierung verwenden sollen, hat uns der Buddha wie nachfolgend aufgeführt gelehrt:

Aṅguttara Nikāya
Das Fünfer-Buch
5.71–72. Die Frucht der Gemütsbefreiung I+II (cetovimutti-phala-sutta)

Fünf Dinge, ihr Mönche, wenn entfaltet und häufig geübt,

haben die Frucht der Gemütsbefreiung (cetovimutti-phala), haben die Frucht der Gemütsbefreiung zum Ergebnis
haben die Frucht der Weisheitsbefreiung (paññāvimutti-phala), haben die Frucht der Weisheitsbefreiung zum Ergebnis.

Welches sind diese fünf Dinge?

Da, ihr Mönche, weilt der Mönch bei

(71)

der Betrachtung des Unschönen am Körper (asubhānupassī kāye),
der Wahrnehmung des Ekelhaften der Nahrung (āhāre paṭikūlasaññī),
der Wahrnehmung der Reizlosigkeit der ganzen Welt (sabbaloke anabhiratasaññī),
der Betrachtung der Vergänglichkeit aller Gebilde (sabbasaṅkhāresu aniccānupassī)
der Wahrnehmung des Todes (maraṇasaññā)

(72)

der Wahrnehmung der Vergänglichkeit (aniccasaññā),
der Wahrnehmung des Leidvollen der Vergänglichkeit (anicce dukkhasaññā),
der Wahrnehmung der Ichlosigkeit des Leidens (dukkhe anattasaññā),
der Wahrnehmung des Aufgebens (pahānasaññā),
der Wahrnehmung der Begierdelosigkeit (virāgasaññā)

hat sich in seinem Inneren wohl gefestigt.

Insofern nun aber, ihr Mönche, der Mönch ein Gemütserlöster ist und ein Weisheitserlöster, so nennt man ihn einen Schrankensprenger, einen Grabenfüller, einen Pfostenbrecher, einen Riegelheber, einen heiligen Fahnenledigen, Bürdenledigen, Losgelösten.

Wie aber ist der Mönch ein Schrankensprenger?

(Unwissenheitstrieb)

Da ist im Mönch das Nichtwissen vernichtet (avijja pahīnā), mit der Wurzel zerstört, wie eine Fächerpalme dem Boden entrissen, vernichtet und dem Neuentstehen nicht mehr ausgesetzt. So ist der Mönch ein Schrankensprenger.

Wie aber ist der Mönch ein Grabenfüller?

(Werdenstrieb)

Da ist für den Mönch der Daseinskreislauf der Geburten vernichtet (ponobhaviko jātisaṁsāro pahīno), mit der Wurzel zerstört, wie eine Fächerpalme dem Boden entrissen, vernichtet und dem Neuentstehen nicht mehr ausgesetzt. So ist der Mönch ein Grabenfüller.

Wie aber ist der Mönch ein Pfostenbrecher?

(Sinnentrieb)

Da ist im Mönche das Verlangen vernichtet (taṇhā pahīnā), mit der Wurzel zerstört, wie eine Fächerpalme dem Boden entrissen, vernichtet und dem Neuentstehen nicht mehr ausgesetzt. So ist der Mönch ein Pfostenbrecher.

Wie aber ist der Mönch ein Riegelheber?

(Fesseln an den Daseinskreislauf)

Da sind im Mönche die fünf niederen Fesseln vernichtet (pañcorambhāgiyāni saṁyojanāni pahīnāni), mit der Wurzel vernichtet, wie eine Fächerpalme dem Boden entrissen, vernichtet und dem Neuentstehen nicht mehr ausgesetzt. So ist der Mönch ein Riegelheber.

Wie aber ist der Mönch ein edler Fahnenlediger, Lastenlediger, Losgelöster?

(Einbildung von einem Selbst)

Da ist im Mönche der Ichdünkel vernichtet (asmimāno pahīno), mit der Wurzel zerstört, wie eine Fächerpalme dem Boden entrissen, vernichtet und dem Neuentstehen nicht mehr ausgesetzt. So ist der Mönch ein heiliger Fahnenlediger, Bürdenlediger, Losgelöster.


Aṅguttara Nikāya
Das Zehner-Buch
60. Die Heilung des Girimānanda

Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sāvatthī, im Kloster des Anāthapindika. Damals nun war der ehrwürdige Girimānanda krank, leidend, von schwerer Krankheit befallen. Und der ehrwürdige Ānanda begab sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, sprach der ehrwürdige Ānanda zum Erhabenen also:

„Der ehrwürdige Girimānanda, o Herr, ist krank, leidend, von schwerer Krankheit befallen. Gut wäre es, o Herr, wenn sich der Erhabene zu ihm hinbegeben möchte durch Mitleid bewogen.“

„Wenn du, Ānanda, zum Mönche Girimānanda hingehen und ihm zehn Wahrnehmungen weisen willst, so mag es sein, daß nach deren Anhören die Krankheit des Mönches Girimānanda auf der Stelle schwindet.

Welches sind die zehn Wahrnehmungen (saññā)?

(1) der Vergänglichkeit (anicca-saññā)
(2) des Nicht-Selbst (anatta-saññā)
(3) der Unreinheit (asubha-saññā)
(4) des Elends (ādīnava-saññā)
(5) des Aufgebens (pahāna-saññā)
(6) der Begierdelosigkeit (virāga-saññā)
(7) des Aufhörens (nirodha-saññā)
(8) der Unzufriedenheit gegenüber der Welt (sabbaloka-anabhirati-saññā)
(9) der Abneigung gegen alle Gebilde (sabbasaṅkhāresu anicchāsaññā)
(10) die Achtsamkeit beim Ein- und Ausatmung (ānā-pāna-sati-saññā).

1. Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung der Vergänglichkeit (anicca-saññā)?

Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung, und erwägt bei sich also: ‚Vergänglich ist die Körperlichkeit, vergänglich ist das Gefühl, vergänglich ist die Wahrnehmung, vergänglich sind die Gestaltungen, vergänglich ist das Bewußtsein.‘ So verweilt er bei den fünf die Objekte des Haftens bildenden Daseinsgruppen (Khandha) in der Betrachtung ihrer Vergänglichkeit.

2. Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung des Nicht-Selbst (anatta-saññā)?

Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung, und erwägt bei sich also: ‚Nicht das Selbst sind Auge und Formen, nicht das Selbst sind Ohr und Töne, nicht das Selbst sind Nase und Düfte, nicht das Selbst sind Zunge und Geschmäcke, nicht das Selbst sind Körper und die Körpereindrücke, nicht das Selbst sind Geist und die Geistobjekte.‘ So weilt er bei diesen sechs inneren und sechs äußeren Sinnengrundlagen in der Betrachtung des Nicht-Selbst. Das, Ānanda, nennt man die Betrachtung des Nicht-Selbst.

3. Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung des Unschönen (asubha-saññā)?

Da betrachtet der Mönch diesen Körper, von der Fußsohle aufwärts und vom Haarschopf abwärts, den hautumgrenzten, mit vielerlei Unrat angefüllten, so nämlich: ‚An diesem Körper gibt es Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen, Knochenmark, Nieren, Herz, Leber, Innenhaut, Milz, Lunge, Darm, Gekröse, Mageninhalt, Kot, Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Fett, Tränen, Lymphe, Speichel, Rotz, Gelenköl und Urin.‘ So weilt er bei diesem Körper in der Betrachtung des Unschönen. Das, Ānanda, nennt man die Betrachtung des Unschönen.

4. Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung des Elends (ādīnava-saññā)?

Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung und erwägt bei sich also: ‚Wahrlich, voller Leiden ist dieser Körper, voller Elend. Es entstehen in diesem Körper mannigfache Leiden, als wie Erkrankungen von Auge, Ohr, Nase, Zunge, Leib, Kopf, Ohrmuschel, Mund und Zähnen, Husten, Engbrüstigkeit, Schnupfen, Entzündung, Fieber, Magenschmerzen, Ohnmacht, Durchfall, Gliederreißen, Ruhr, Aussatz, Beulen, Ausschlag, Schwindsucht, Fallsucht, Zitteroch, Jucken, Grind, Krätze, Räude, Erkrankungen des Blutes und der Galle, Zuckerkrankheit, Lähmung, Blattern, Fistel, durch Galle, Schleim und Gase oder deren Zusammenwirken hervorgerufene Krankheiten, durch Temperaturwechsel, unregelmäßige Lebensweise und Unfall bedingte Krankheiten, durch früheres Karma verschuldete Krankheiten, sowie Kälte, Hitze, Hunger, Durst, Kot und Urin.‘ So weilt er bei diesem Körper in Betrachtung des Elends. Das, Ānanda, ist die Betrachtung des Elends.

5. „Was aber Ānanda, ist die Betrachtung des Aufgebens (pahāna-saññā)?

Da läßt der Mönch einen aufgestiegenen sinnlichen Gedanken nicht Fuß fassen, überwindet, vertreibt und verrichtet ihn, bringt ihn zum Schwinden. Er läßt einen aufgestiegenen Gedanken des Hasses... der Schädigung sowie (andere) jeweils aufsteigende üble, unheilsame Dinge nicht Fuß fassen, überwindet, vertreibt und vernichtet sie, bringt sie zum Schwinden. Das, Ānanda, nennt man die Betrachtung des Aufgebens.

6. „Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung der Begierdelosigkeit (virāga-saññā)?

Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung und wägt bei sich also
„Dies ist Friede (Etam santam),
dies ist erhaben (etam panitam),
nämlich:
aller Willensregungen Beruhigung (sabba-sankhāra-samatha),
aller Daseinsgrundlagen Entledigung (sabb-upadhi-patinissaggo),
des Durstes Versiegung (tanhā-k-khaya),
die Begierdelosigkeit (virāga: nichts mehr daran finden),
das Aufhören (nirodha: des Werdens),
Nibbāna.“

Das, Ānanda, nennt man die Betrachtung Entsüchtung.

7. „Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung der Aufhörens (nirodha-saññā)?

Da begibt sich der Mönch den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung und erwägt bei sich also: 

„Dies ist Friede (Etam santam),
dies ist erhaben (etam panitam),
nämlich:
aller Willensregungen Beruhigung (sabba-sankhāra-samatha),
aller Daseinsgrundlagen Entledigung (sabb-upadhi-patinissaggo),
des Durstes Versiegung (tanhā-k-khaya),
die Begierdelosigkeit (virāga: nichts mehr daran finden),
das Aufhören (nirodha: des Werdens),
Nibbāna.“

Das, Ānanda, nennt man die Betrachtung der Erlöschung.

8. „Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung der Unzufriedenheit gegenüber der Welt (sabbaloka-anabhirati-saññā)?

Da überwindet der Mönch das krampfhafte Hängen an der Welt, diese beharrliche, hartnäckige Tendenz des Herzens (Gemüt/citta), er wendet sich davon ab und haftet nicht daran. Das, Ānanda, nennt man die Betrachtung der Unzufriedenheit gegenüber der Welt.

9. „Was aber, Ānanda, ist die Betrachtung der Abneigung gegen alle Gebilde (sabba-saṅkhāresu anicchā-saññā)
(alles, was bedingt in Erscheinung getreten ist)?

Da empfindet der Mönch Entsetzen, Ekel und Abscheu vor allen Gebilden. Das, Ānanda, nennt man die Betrachtung der Abneigung gegen alle Gebilde (Dinge und Lebewesen).

10. „Was aber Ānanda, sind die (16) Betrachtungen beim Ein- und Ausatmung (ānā-pāna-sati-saññā)?

Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung. Mit gekreuzten Beinen setzt er sich nieder, den Körper gerade aufgerichtet, die Achtsamkeit vor sich gegenwärtig haltend. Achtsam atmet er ein, achtsam atmet er aus.

Atmet er kurz ein, so weiß er: ‚Ich atme kurz ein‘; atmet er kurz aus, so weiß er: ‚Ich atme kurz aus‘, Atmet er lang ein, so weiß er: ‚Ich atme lang ein‘; atmet er lang aus, so weiß er: ‚Ich atme lang aus‘, ‚Den ganzen Körper klar empfindend, will ich einatmen‘, so übt er sich. ‚Den ganzen Körper klar empfindend, will ich ausatmen‘, so übt er sich. ‚Die Körperfunktion beruhigend, will ich einatmen‘, so übt er sich. ‚Die Körperfunktion beruhigend, will ich ausatmen‘, so übt er sich.

‚Die Verzückung klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich. ‚Die Freude klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich. ‚Die Gestaltungen (Willensregungen) des Herzens (Gemüt) klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich. ‚Die Gestaltungen des Herzens beruhigend, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich.

‚Das Herz (Citta) klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich. ‚Das Herz erfreuend, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich. ‚Das Herz sammelnd, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich. ‚Das Herz befreiend, will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich.

‚Die Vergänglichkeit betrachtend (aniccānupassī), will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich. 
Die Begierdelosigkeit betrachtend (virāgānupassī), will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich.
‚Das Aufhören betrachtend (nirodhānupassī), will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich.
‚Das Loslassen betrachtend (paṭinissaggānupassī), will ich einatmen... ausatmen‘, so übt er sich.

Das, Ānanda, nennt man die Achtsamkeit bei Ein- und Ausatmung .

Wenn du, Ānanda, zum Mönche Girimānanda gehen und ihm diese zehn Betrachtungen weisen willst, so mag es sein, daß nach deren Anhören die Krankheit des Mönches Girimānanda auf der Stelle schwindet.“

Nachdem nun der ehrwürdige Ānanda vom Erhabenen diese zehn Betrachtungen gelernt hatte, begab er sich zum ehrwürdigen Girimānanda und unterwies ihn in diesen zehn Betrachtungen. Sobald aber der ehrwürdige Girimānanda diese zehn Betrachtungen vernommen hatte, legte sich seine Krankheit auf der Stelle. Er erhob sich von seinem Krankenlager und war von seiner Krankheit geheilt.

A.I.21

Eine Betrachtung, ihr Mönche, entfaltet und beharrlich gepflegt, führt zu völliger Abwendung, Loslösung, Erlöschung, zum Frieden, zur Durchschauung, Erleuchtung und zum Nirvana. Welche Betrachtung?

1. Die Betrachtung über den Erleuchteten (Buddha). Wahrlich, diese Betrachtung, ihr Mönche, führt zu völliger Abwendung, Loslösung, Erlöschung, zum Frieden, zur Durchschauung, Erleuchtung und zum Nirvana.

Eine Betrachtung, ihr Mönche, entfaltet und beharrlich gepflegt, führt zu völliger Abwendung, Loslösung, Erlöschung, zum Frieden, zur Durchschauung, Erleuchtung und zum Nirvana. Welche Betrachtung?

2. Die Betrachtung über die Lehre (Dhamma) . . .

3. Die Betrachtung über die Jüngerschaft (Sangha). . .

4. Die Betrachtung über die Sittlichkeit (Sila). . .

5. Die Betrachtung über die Freigebigkeit (Dana) . . .

6. Die Betrachtung über die Himmelswesen (Deva). . .

7. Die Betrachtung über den Tod . . .

8. Die Betrachtung über den Körper . . .

9. Die Betrachtung beim Ein- und Ausatmung . . .

10. Die Betrachtung über den Frieden

. . . Wahrlich, diese Betrachtung, ihr Mönche, entfaltet und beharrlich gepflegt, führt zu völliger Abwendung, Loslösung, Erlöschung, zum Frieden, zur Durchschauung, Erleuchtung und zum Nirvana.



In den Texten des Palikanon (z. B. in A.VI.10, A.VI.25; D.33) werden häufig sechs Betrachtungen (auch Vergegenwärtigungen) genannt:

Betrachtungen über die Drei Juwelen:
1. Buddhānussati, Vergegenwärtigung des Erwachten, des Buddha
2. Dhammānussati, Vergegenwärtigung seiner Lehre, des Dharma
3. Saṅghānussati, Vergegenwärtigung seiner Nachfolger, des Sangha

Betrachtungen über die Tugend:
4. Sīlānussati, Vergegenwärtigung der (eigenen) Sittlichkeit, Tugend (sīla)
5. Cāgānussati, Vergegenwärtigung der Freigebigkeit, des Loslassens (Dāna)
6. Devatānussati, Vergegenwärtigung der Himmelwesen (Deva)


Aṅguttara Nikāya
Das Sechser-Buch
10. Die sechs Betrachtungen II

Einst weilte der Erhabene im Feigenhaine bei Kapilavatthu im Lande der Sakyer. Und der Sakyer Mahānāma (ein Sakyer-Fürst und Onkel des Buddha) kam zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend sprach der Sakyer Mahānāma zum Erhabenen also:

„Wer da, o Herr, als edler Jünger einen Erfolg erzielt und die Satzung verstanden hat, in welchem Zustande weilt wohl ein solcher häufig?“

„Wer da, Mahānāma, als edler Jünger einen Erfolg erzielt und die Satzung verstanden hat, ein solcher weilt häufig in folgendem Zustande :

1. Betrachtung über den Buddha (Buddhānussati)

Da, Mahānāma, gedenkt der edle Jünger des Vollendeten: ‚Dies, wahrlich, ist der Erhabene: er ist der Heilige, vollkommen Erleuchtete, der im Wissen und Wandel Bewährte, der Gesegnete, der Kenner der Welt, der unvergleichliche Lenker führungsbedürftiger Menschen, der Meister der Götter und Menschen, der Erleuchtete, der Erhabene.‘ Zu einer Zeit aber, Mahānāma, wenn der edle Jünger des Vollendeten gedenkt, da wird sein Geist weder von Gier umsponnen, noch von Haß oder Verblendung umsponnen; und angesichts des Vollendeten ist zu solcher Zeit sein Geist recht gerichtet. Recht gerichteten Geistes aber, Mahānāma, gewinnt der edle Jünger Begeisterung für das Ziel, Begeisterung für die Lehre, gewinnt er Freude an der Lehre. Im Freudigen aber erhebt sich Verzückung; verzückten Geistes beruhigt sich das Innere; im Inneren gestillt, empfindet er Glück, und des Glücklichen Geist sammelt sich. Von diesem edlen Jünger, Mahānāma, heißt es, daß er unter der verkehrt gerichteten Menschheit im Besitze des Rechten weilt, daß er unter der leidenden Menschheit leidlos weilt. In den Strom der Lehre eingetreten, entfaltet er die Betrachtung über den Erleuchteten.

2. Betrachtung über die Lehre (Dhammānussati)

Weiterhin, Mahānāma, gedenkt der edle Jünger der Lehre: ‚Wohl verkündet ist vom Erhabenen die Lehre; sie ist klar sichtbar, unmittelbar wirksam, einladend: „Komm und sieh‘!“, zum Ziele führend, den Verständigen, jedem für sich, verständlich. Zu einer Zeit aber... (wie oben). In den Strom der Lehre eingetreten, entfaltet er die Betrachtung über die Lehre.

3 Betrachtung über die (Ariya) Sanhga (Sanghānussati)

Weiterhin, Mahānāma, gedenkt der edle Jünger der Mönchsgemeinde: ‚Gut wandelt die Jüngergemeinde des Erhabenen, gerade wandelt die Jüngergemeinde des Erhabenen, auf dem rechten Pfade wandelt die Jüngergemeinde des Erhabenen, geziemend wandelt die Jüngergemeinde des Erhabenen, als da sind: die vier Paare der Heiligen, die acht Arten der Heiligen. Dies ist die Jüngergemeinde des Erhabenen. Würdig ist sie des Opfers, würdig der Gastspende, würdig der Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Grußes, der beste Boden in der Welt für gute Werke.‘ Zu einer Zeit aber... (wie oben). In den Strom der Lehre eingetreten, entfaltet er die Betrachtung über die Mönchsgemeinde.

4. Betrachtung über die Silas (Sílānussati)

Weiterhin, Mahānāma, gedenkt der edle Jünger der eigenen Sitten, der ungebrochenen, unverletzten, unbefleckten, unverdorbenen, befreienden, von Verständigen gepriesenen, die unbeeinflußbar sind und die geistige Sammlung fördern. Zu einer Zeit aber... (wie oben). In den Strom der Lehre eingetreten, entfaltet er die Betrachtung über die Sittlichkeit.

5. Betrachtung über Freigiebigkeit (Cāgānussati)

Weiterhin, Mahānāma, gedenkt der edle Jünger der eigenen Freigebigkeit: ‚Heil mir! Gut hab‘ ich‘s getroffen, daß ich inmitten der vom Laster des Geizes umsponnenen Menschheit mit einem vom Laster des Geizes freien Herzen im Hause lebe, freigebig, mit offenen Händen, zum Geben geneigt, den Bedürftigen zugetan, am Austeilen von Gaben Freude habend. Zu einer Zeit aber... (wie oben). In den Strom der Lehre eingetreten, entfaltet er die Betrachtung über die Freigebigkeit.

6. Betrachtung über die Gottheiten (Devatānussati)

Weiterhin, Mahānāma, gedenkt der edle Jünger der Gottheiten:

Es gibt da die vier großen Götterkönige,
es gibt die Götter der Dreiunddreißig,
es gibt die Yama-Götter,
die Seligen Götter,
die schöpfungsfreudigen Götter,
es gibt die über die Erzeugnisse anderer verfügenden Götter,
die Götter der Brahmawelt,
und es gibt noch Götter darüber hinaus.

Das Vertrauen, von dem erfüllt jene Gottheiten, von hier abgeschieden und dort wiedererschienen sind, ein solches Vertrauen eignet auch mir.

Die Sittlichkeit
das Wissen
die Freigebigkeit
die Weisheit,
von der erfüllt jene Gottheiten von hier abgeschieden und dort wiedererschienen sind, solche Sittlichkeit, solches Wissen, solche Freigebigkeit und solche Weisheit eignet auch mir.‘

Zu einer Zeit aber, Mahānāma, wenn der edle Jünger dieser Eigenschaften gedenkt, die ihm selber und den Gottheiten eignen, da wird sein Geist weder von Gier umsponnen, noch von Haß oder Verblendung umsponnen; und angesichts des Vollendeten ist zu solcher Zeit sein Geist recht gerichtet. Recht gerichteten Geistes aber, Mahānāma, gewinnt der edle Jünger Begeisterung für das Ziel, Begeisterung für die Lehre, gewinnt er Freude an der Lehre. Im Freudigen aber erhebt sich Verzückung; verzückten Geistes beruhigt sich das Innere; im Inneren gestillt, empfindet er Glück, und des Glücklichen Geist sammelt sich. Von diesem edlen Jünger, Mahānāma, heißt es, daß er unter der verkehrt gerichteten Menschheit im Besitze des Rechten weilt, daß er unter der leidenden Menschheit leidlos weilt. In den Strom der Lehre eingetreten, entfaltet er die Betrachtung über die Gottheiten.

Wer da, Mahānāma, als edler Jünger einen Erfolg erzielt und die Satzung verstanden hat, ein solcher weilt häufig in diesem Zustande.

———

An zwei anderen Stellen werden weitere vier Betrachtungen erwähnt (Anāpatti-Vagga der Anguttara-Nikaya A.I.26,  A.I.35).
Sie lauten:

7. Maraṇassati, Betrachtung über den Tod
8. Kāyagatā-sati, Betrachtung der 32 unreinen Teile des Körpers
9. Ānāpānasati, Achtsamkeit beim Ein- und Ausatmen
10. Upasamānussati, Betrachtung über den Frieden, über die Vorzüge des Nibbāna

A. VII, 46

7. Betrachtung über den Tod (Maraṇassati)

Wer unter den Mönchen im Geiste häufig von der Vorstellung des Todes erfüllt ist, dessen Geist schreckt zurück vor der Lebenslust, wendet sich weg, kehrt sich ab, fühlt sich nicht dazu hingezogen; und Gleichmut oder Abscheu stellen sich ein.

Gleichwie, ihr Mönche, eine Hahnenfeder oder ein Stück Bogensehne, ins Feuer geworfen, zusammenschrumpft, sich krümmt, zusammenrollt und sich nicht mehr ausstreckt: Ebenso auch, ihr Mönche, schreckt der Geist eines solchen Mönches zurück vor der Lebenslust, wendet sich weg, kehrt sich ab, fühlt sich nicht dazu hingezogen; und Gleichmut oder Abscheu stellen sich ein.

Wenn nun, ihr Mönche, bei einem Mönche, der häufig im Geiste von der Vorstellung des Todes erfüllt ist, der Geist zur Lebenslust hinstrebt und keine Abscheu davor besteht, so sollte der Mönch erkennen, daß er die Vorstellung des Todes nicht entfaltet hat, daß für ihn zwischen einst und jetzt kein Unterschied besteht und daß er das Ziel der Entfaltung nicht erreicht hat. So ist er sich dessen klarbewußt.

Wenn aber, ihr Mönche, bei einem Mönche, der im Geiste häufig von der Vorstellung des Todes erfüllt ist, der Geist zurückschreckt vor der Lebenslust, sich wegwendet, abkehrt, sich nicht dazu hingezogen fühlt und sich Gleichmut oder Abscheu einstellen, so sollte der Mönch erkennen, daß er die Vorstellung des Todes entfaltet hat, daß bei ihm zwischen einst und jetzt ein Unterschied besteht und daß er das Ziel der Entfaltung erreicht hat. So ist er sich dessen klarbewußt.

8. Betrachtung des Körpers (Kāyagatā-sati)

M.10

Ferner, ihr Mönche, betrachtet da der Mönch diesen Körper, von der Fußsohle an aufwärts und vom Haarschopf abwärts, den hautumgrenzten, mit vielerlei Unrat angefüllten, nämlich:

,An diesem Körper gibt es

(1) Kopfhaare, (2) Körperhaare, (3) Nägel, (4) Zähne, (5) Haut, -
(6) Fleisch, (7) Sehnen, (8) Knochen, (9) Knochenmark, (10) Nieren, -
(11) Herz, (12) Leber, (13) Innenhaut (Bauch-, Zwerch-, Brustfell usw.), (14) Milz, (15) Lunge, -
(16) Darm, (17) Gekröse, (18) Mageninhalt, (19) Kot, (20) Gehirn, -
(21) Galle, (22) Schleim, (23) Eiter, (24) Blut, (25) Schweiß, (26) Fett, -
(27) Tränen, (28) Hautschmiere, (29) Speichel, (30) Rotz, (31) Gelenkschmiere, (32) Urin.
Gleichwie, ihr Mönche, als befände sich da ein beiderseits mit Öffnungen versehener Korb, angefüllt mit vielerlei Arten von Körnern, wie ungeschältem Reis, Mungbohnen, langen Bohnen, Sesamkörnern und geschältem Reis, und ein Mann, der Augen hat, öffnete den Korb und stellte fest: ,Dies ist ungeschälter Reis, dies sind Mungbohnen, dies lange Bohnen, dies Sesamkörner und dies ist geschälter Reis.’ Genau so, ihr Mönche, betrachtet der Mönch diesen Körper, von der Fußsohle an aufwärts und von dem Haarschopfe an abwärts, den hautumgrenzten, mit vielerlei Unrat angefüllten: ,An diesem Körper gibt es Kopfhaare, Körperhaare usw.’


9. Die Betrachtung beim Ein- und Ausatmen (Anāpānasati)

Dies ist eine der wichtigsten Übungen im System buddhistischer Geistesschulung. Wird sie als Konzentrationsübung vorgenommen, so mag sie die vier ersten Vertiefungen (Jhanas) herbeiführen. Sowohl als Konzentrations- wie auch als Hellblickübung wird sie z. B. in M. 118 behandelt. Vorweg sei bemerkt, daß es sich um eine Achtsamkeits-Übung und nicht um ein Atemtraining handelt, wie etwa im Pranayama des hinduistischen Yoga.

Es geht hierbei um 16 Betrachtungen, die beim bewussten Ein- und Ausatmen durchgeführt werden. Die bewusste Ein- und Ausatmen ist kein Selbstzweck, sondern unterstützt dabei, dass keine störenden und ablenkenden Gedanken aufkommen und wir uns ganz den 16 Betrachtungen widmen können.

„Diese Errichtung der Achtsamkeit beim Ein- und Ausatmung, ihr Mönche, entfaltet und häufig gepflegt, ist ein friedvoller und erhabener, fleckenloser, glückseliger Zustand, der die immer wieder aufsteigenden üblen, unheilsamen Dinge auf der Stelle zum Schwinden und zur Ruhe bringt. Gleichwie, ihr Mönche, im letzten Monat der heißen Jahreszeit ein plötzlich eintretender gewaltiger Regen den aufgewirbelten Schmutz und Staub auf der Stelle zum Schwinden und Aufhören bringt, genau so auch ist die Errichtung  der Achtsamkeit beim Ein- und Ausatmung, entfaltet und häufig gepflegt, ein friedvoller und erhabener, fleckenloser, glücklicher Zustand, der die immer wieder aufsteigenden üblen, unheilsamen Dinge auf der Stelle zum Schwinden und zur Ruhe bringt.

Wie aber entfaltet und häufig gepflegt, ihr Mönche, ist die Errichtung der Achtsamkeit beim Ein- und Ausatmung ein friedvoller und erhabener, fleckenloser, glückseliger Zustand, der die immer wieder aufsteigenden üblen, unheilsamen Dinge auf der Stelle zum Schwinden und zur Ruhe bringt?

Da, ihr Mönche, hat sich der Mönch in den Wald begeben oder an den Fuß eines Baumes oder in ein leeres Haus, und er setzt sich dort nieder. Und mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen, den Körper gerade aufgerichtet, die Achtsamkeit vor sich geheftet (um Mund u. Nase), atmet er achtsam ein, atmet er achtsam aus.

I. (1) Lang einatmend weiß er: ,Lang atme ich ein’, oder lang ausatmend weiß er: ,Lang atme ich aus’. (2) Kurz einatmend weiß er: ,Kurz atme ich ein’, oder kurz ausatmend weiß er: ,Kurz atme ich aus’. (3) ,Den ganzen Körper empfindend werde ich einatmen’, so übt er sich; ,den ganzen Körper empfindend, werde ich ausatmen’, so übt er sich. (4) ,Die Körperfunktion besänftigend werde ich einatmen’, so übt er sich; ,Die Körperfunktion besänftigend werde ich ausatmen’, so übt er sich.

II. (5) ,Die Verzückung empfindend’ . . . (6) ,Das Wohlgefühl empfindend’ . . . (7) ,Die Gestaltungen des Herzens (Citta) empfindend’ . . . (8) ,Die Gestaltungen des Herzens (aus Gier, Hass und Verblendung) besänftigend (Gleichmut)’ . . .

III. (9) ,Das Herz (Gemüt) empfindend’ . . . (10) ,Das Herz erheiternd’ . . . (11) ,Das Herz sammelnd’ . . . (12) ,Das Herz befreiend’ . . .

IV. (13) ,Das Vergängliche (Entstehen, Vergehen und Anderswerden) betrachtend’ . . . (14) ,Die Loslösung (von den Daseinsgrundlagen Körper und Geist nebst Bewusstsein) betrachtend’ . . . (15) ,Die Erlöschung (des Bewusstsein von Ich und Mein in der Welt) betrachtend’ . . . (16) ,Das Loslassen (allen bedingten Daseins) betrachtend werde ich einatmen’, so übt er sich; ,das Fahrenlassen betrachtend werde ich ausatmen’, so übt er sich.

Auf diese Weise, ihr Mönche, entfaltet und häufig gepflegt, ist die Errichtung der Achtsamkeit beim Ein- und Ausatmung ein friedvoller und erhabener, fleckenloser, glückseliger Zustand, der die immer wieder aufsteigenden üblen, unheilsamen Dinge auf der Stelle zum Schwinden und zur Ruhe bringt.“

 
10. Die Betrachtung über den Frieden (Upasamānussati)

Mit dieser Betrachtung sollen die Vorzüge des als Erlöschung allen bedingten Seins geltenden Nirvanas kontempliert werden. 

A.X.60

„Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Erlöschung?

Da, Ananda, begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Klause und erwägt bei sich also:

„Dies ist Friede (Etam santam),
dies ist erhaben (etam panitam),
nämlich:
aller Willensregungen Beruhigung (sabba-sankhāra-samatha),
aller Daseinsgrundlagen Entledigung (sabb-upadhi-patinissaggo),
des Durstes Versiegung (tanhā-k-khaya),
die Begierdelosigkeit (virāga: nichts mehr daran finden),
das Aufhören (nirodha: des Werdens),
Nibbāna.“

Das, Ananda, nennt man die Betrachtung über die Erlöschung“.

A.IV.34

Wie weit auch immer, ihr Mönche, es geschaffene wie ungeschaffene Dinge gibt, als höchstes darunter gilt die Loslösung, d. i. die Wahnzerstörung, die Überwindung des Durstes, die Entwurzelung der Anhaftungen, die Durchbrechung der Daseinsrunde (Wiedergeburten), die Versiegung des Begehrens, die Loslösung, die Erlöschung, das Nirvana.

S.43.12-14

. . . Die Versiegung von Gier, Haß und Verblendung: Das, ihr Mönche, nennt man das Ungeschaffene . . . das Grenzenlose . . . das Triebfreie . . . das Wahre . . . das andere Ufer . . . das Subtile . . . das schwer Erkennbare . . . das Alterlose . . . das Beständige . . . das Jenseits aller Vielheit . . . das Friedvolle . . . das Todlose . . . das Erhabene . . . das Heil . . . die Sicherheit . . . das Wundersame . . . das Geheimnisvolle . . . das Leidlose . . . das leidlose Gesetz . . . das Nirvana . . . das von Bedrückung Freie . . . die Loslösung . . . das Lautere . . . das Haftlose . . . das Eiland . . . das Versteck . . . den Schutz . . . die Zuflucht . . . das Endziel.

Aṅguttara Nikāya
Das Zehner-Buch
6. Losgelöste Sammlung I

Der ehrwürdige Ānanda sprach zum Erhabenen also:

„Mag wohl, o Herr, der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde ist, daß er angesichts des Wassers—des Feuers—des Windes—des Gebietes der Raumunendlichkeit—der Bewußtseinsunendlichkeit—der Nichtsheit—der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung-angesichts dieser Welt-angesichts jener Welt ohne Wahrnehmung von all diesen ist, und daß er dennoch Wahrnehmung besitzt?“

Ja, Ānanda, das ist möglich.“

Wie aber, o Herr, kann der Mönch eine solche Sammlung erreichen?“

Da, Ānanda, hat der Mönch die Wahrnehmung:

„Dies ist Friede (Etam santam),
dies ist erhaben (etam panitam),
nämlich:
aller Willensregungen Beruhigung (sabba-sankhāra-samatha),
aller Daseinsgrundlagen Entledigung (sabb-upadhi-patinissaggo),
des Durstes Versiegung (tanhā-k-khaya),
die Begierdelosigkeit (virāga: nichts mehr daran finden),
das Aufhören (nirodha: des Werdens),
Nibbāna.“

Auf diese Weise mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen.“

Aṅguttara Nikāya
Das Zehner-Buch
7. Losgelöste Sammlung II

Der ehrwürdige Ānanda sprach zum ehrwürdigen Sāriputta:

„Mag wohl, Bruder Sāriputta, der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde ist... angesichts jener Welt ohne deren Wahrnehmung ist, und daß er dennoch Wahrnehmung besitzt?“—„Ja, Ānanda, das ist möglich.“—„Wie aber, Bruder Sāriputta, kann der Mönch eine solche Sammlung erreichen?“

Einst, Bruder Ānanda, da weilte ich hier bei Sāvatthī im Dunklen Walde. Dort erreichte ich eine solche Sammlung, daß ich angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde war, daß ich angesichts des Wassers—des Feuers—des Windes—des Gebietes der Raumunendlichkeit—der Bewußtseinsunendlichkeit—der Nichtsheit—der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung-angesichts dieser Welt-angesichts jener Welt ohne Wahrnehmung von all diesen war, und dennoch besaß ich Wahrnehmung.“

Welche Wahrnehmung aber hatte der ehrwürdige Sāriputta bei dieser Gelegenheit?“

‚Nibbāna ist Daseinserlöschung! Nibbāna ist Daseinserlöschung!‘—diese eine Wahrnehmung, Bruder, stieg in mir auf, und die andere Wahrnehmung schwand. Gleichwie etwa, Bruder, bei einem Reisigfeuer die eine Flamme aufleuchtet, die andere Flamme aber verschwindet; ebenso auch, Bruder, stieg in mir im Gedanken ‚Nibbāna ist die Daseinserlöschung‘ (das Ende des Werdens seit anfangsloser Zeit) diese eine Wahrnehmung auf, und die andere Wahrnehmung schwand. Daß Nibbāna die Daseinserlöschung ist, diese Wahrnehmung hatte ich bei jener Gelegenheit.“



Home
Share by: